AW: Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin - wie war die Berichterstattung?
Ich hatte hier ja nach der Wahlberichterstattung und wie ihr sie beurteilt gefragt, aber diese Diskussion scheint abgedriftet zu sein. Deshalb gebe ich jetzt auch meinen Senf dazu.
Ich finde Nicht-Wähler äußerst unsympathisch, weil mich bisher keines ihrer Argumente überzeugt hat -und weil sie mit ihrer Gleichgültigkeit die Demokratie aufs Spiel setzen. Es sind vielmehr die Ausreden von Leuten, die auf schnelle einfache Lösungen hoffen.
- Wer eine Partei finden möchte, die zu 100 Prozent die eigenen Interessen abdecken soll, müsste selbst eine gründen. Schon wenn ein zweites Mitglied hinzukommt, werden Kompromisse nötig.
- Wer sagt, es ändert sich ja sowieso nichts, lebt wohl abseits sämtlicher Kommunikationswege. Natürlich sinkt die Arbeitslosenquote nicht binnen eines Jahres um zehn Prozentpunkte, natürlich siedeln sich nicht auf einen Schlag 200 neue Unternehmen irgendwo an. Wenn es dafür ein Rezept gäbe, es wäre schon längst in die Tat umgesetzt worden. Oder glaubt hier jemand ernsthaft, die Lösungen für alle akuten politischen und sozialen Probleme in der Bundesrepublik gibt es nur deshalb nicht, weil irgendwer sie aus purer Böswilligkeit geheim hält? Es sind kleine Veränderungen, Richtungswechsel und dergleichen, die helfen sollen.
- Wer die Tatsache bemängelt, dass Parteien bei Wahlen unter bestimmten Umständen Geld dafür bekommen, dass Wähler für sie gestimmt haben, der sollte sich vergegenwärtigen, dass diese Regelung es kleinen Gruppen, Initiativen und Parteien erst ermöglicht, überhaupt in einem demokratischen System anzutreten und durch die Kostenerstattung ihren Wahlkampf zumindest teilweise finanzieren können. Dieses Geld soll die Vielfalt im demokratischen System wahren helfen
- Wer kritisiert, dass Politiker und Parteien sich nur in Wahlkampfzeiten blicken lassen, hat nur teilweise Recht. Natürlich haben die Abgeordneten und Ministerien eine gewisse Informationspflicht, eine Art Bringschuld. Und sie sind auch gut beraten, über ihre Arbeit zu informieren. Aber wer interessiert sich dafür? Kreisgebietsreform, Hochschulgesetze, Seilbahngesetz... Zu kompliziert, zu lang, zu abwegig? Und dann sind sich vielleicht auch noch mal zwei politische Kontrahenten einig - wie langweilig! Das Wahlvolk erweckt in der Regel zu großen Teilen den Eindruck von verheerendem Desinteresse.
Und damit komme ich zur Holschuld der Wähler. Parlamentarier Behörden, Ministerien unterhalten Internetseiten, Telefon-Hotline, Bürgersprechstunden. Welcher der geneigten Thread-Leser hier hat schon mal Kontakt zu seinem Abgeordneten gesucht, mitten in der Legislaturperiode, um einfach mal zu fragen, was er den ganzen Tag macht. Wer kennt überhaupt den Namen seines Wahlkreis-Vertreters im Landtag?
Diese vier Punkte sind meiner Meinung nach entscheidende Fragen, die sich jeder stellen muss, der für sich entschieden hat nicht wählen zu gehen. Er kann diese Freiheit genießen, selbstverständlich, viel Vergnügen. Er möge sich aber auch bitte klar darüber werden, dass dieses Experiment schief gehen kann. Wenn durch seinen Wahlverzicht plötzlich ganz andere Gruppen das Sagen bekommen und es dann vielleicht keine Freiheit mehr gibt, die es einem gestattet, am Wahltag den Stimmzetteln fernzubleiben.
Politik ist zunächst das Machbare und die Kunst des Kompromisses - das sagen ihre Vertreter nur oft nicht deutlich genug. Sie hoffen lieber auf die Zugkraft ihrer nie durchsetzbaren Maximalforderungen im Wahlkampf. Dies und vieles andere kann man vielen vorwerfen. Und wer seit zehn Jahren ohne Job in einer Region mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit lebt, der ist gewiss der Verzweiflung nahe - und meine Worte mögen ihm wie theoretisches Gewäsch aus einer anderen Welt vorkommen.
Ich bleibe aber dabei, dass Demokratie eine Form des Zusammenlebens ist, die sowohl Schwache (wenn auch im Moment auf äußerst niedrigem Niveau) unterstützt und gleichzeitig größtmögliche Freiheiten sichert. Das mit der Hilfe für Schwache sollte man sicherlich ändern, das mit den Freiheiten auf keinen Fall.
Aber das funktioniert eben nur, wenn die Wähler demokratische Parteien unterstützen - und sei es nur durch die Wahl des so genannten kleinsten Übels. Ein paar Kreuze alle paar Jahre ist dabei die Pflicht - alles Weitere, oben Beschriebene gehört zur Kür.
So, Ende.
Missionarische Grüße,
FC