Posted by admin (admin) on 24.10.2007 at 18:33
WDR-4-Wellenchefin Rena Pieper und Redakteur Reinhard Kröhnert im Gespräch mit MUSIKMARKT
Seit 1. März 2000 ist Rena Pieper die Wellenchefin von WDR 4 und leitet somit Deutschlands erfolgreichstes Schlager-Programm. Unterstützt wird sie dabei von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zu denen auch Reinhard Kröhnert zählt, Musikredakteur und Moderator. Joachim Hendel sprach für "Musikmarkt" mit beiden über ihr Erfolgsprogramm.
MUSIKMARKT: WDR 4 zählt seit 22 Jahren zu den erfolgreichsten Sendern für die Freunde deutschsprachiger Musik. Andere richten ihr Programm internationaler aus, Sie sind Ihrer Linie treu geblieben...
Rena Pieper: Vor 22 Jahren gab es so ein Programm noch gar nicht. Für WDR 4 war es deshalb auch leicht, sofort die größten Quoten und die "Goldene Ananas" zu gewinnen. Das hat sich dann geändert, sowohl bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, als auch bei den Privaten. Aber im Lauf der Jahre gab es nochmals eine Veränderung. Bei den Privat-Sendern gibt es mittlerweile fast keine Schlager-Formate mehr. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern der ARD-Anstalten vollzieht sich langsam eine andere Entwicklung. WDR 4 ist sich selbst noch am treuesten geblieben, was den Anteil an deutschsprachigem Schlager oder deutschsprachiger Unterhaltungsmusik anbelangt.
Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Rena Pieper: Das hat verschiedene Gründe. Manche orientieren sich sehr an den Zielgruppen-Einteilungen, die aus werbewirtschaftlichen Gesichtspunkten geboren sind. "Zielgruppe 49 Plus" beispielsweise ist eine Werbedefinition, die ich aus Programmsicht überhaupt nie anlegen würde. Für mich sind Programme wie WDR 4 eine Frage des Lebensgefühls und nicht der Anzahl der Lebensjahre der Hörer. Wertevorstellungen und Musikvorlieben entstehen im Laufe eines Lebens und bleiben dann zumeist auch. Das WDR-Programm "Eins Live" hat 60-jährige Zuhörer genauso wie 20-jährige. Ich gehe also bei der Programmgestaltung nicht nach diesen werbewirtschaftlichen Kriterien. Manche ARD-Anstalten neigen vielleicht dazu, trotz Mischfinanzierung aus Gebühren und Werbeeinnahmen zu überlegen, welche Programme für die jungen, die 40-Jährigen und für die "49 Plus"-Hörer gemacht werden. Das würde ich so nicht unterschreiben. Wir müssen als Teil einer öffentlich-rechtlichen Anstalt unseren Rundfunkauftrag ernst nehmen, und der besagt, dass wir für Bildung, Information und Unterhaltung zuständig sind. Zur Unterhaltung gehört die gesamte Bandbreite. Bedauerlich ist beispielsweise auch, dass Spartensendungen für die Bereiche Chanson, Chormusik und Operette sehr selten geworden sind.
Manche Sender senden also am Geschmack des Publikums vorbei? Dabei handelt es sich bei der Zielgruppe "49 Plus" um die finanziell Stärkste in unserem Land...
Rena Pieper: Die Werbewirtschaft hat ja auch schon begriffen, dass das die Erben-Generation ist. Das sind Menschen, die ein Eigenheim besitzen, die Kinder sind erwachsen, das Auto ist bezahlt, das Haus eingerichtet. Diese Zielgruppe hat also Geld zur Verfügung. Aber die Werbewirtschaft weiß offensichtlich nicht so ganz, wie diese Altersgruppe tickt. Man muss dieser Zielgruppe mehr ins Herz schauen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Die Werbung jedenfalls holt die Leute nicht dort ab, wo sie warten.
WDR 4 pflegt den ständigen Kontakt zum Hörer mit Aktionen und öffentlichen Veranstaltungen. Herr Kröhnert, Sie sind als Redakteur dafür verantwortlich. Was macht diese Veranstaltungen attraktiv?
Reinhard Kröhnert: Man kann die Künstler im Radio hören und dann auf der Bühne bei einer unserer Veranstaltungen live erleben. Sehr oft können unsere Hörer kostenlos zu unseren Veranstaltungen kommen, weil sie auf Marktplätzen oder ähnlichen Orten in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Die Leute sind dann richtig happy, weil sie vergnügliche Stunden verbringen und das auch noch auf einem soliden künstlerischen Niveau.
Frau Pieper, wünschen Sie sich als Wellenchefin von WDR 4 mehr Unterstützung von der Industrie?
Rena Pieper: Wir sitzen ja in einem Boot. Wenn die Industrie nichts Neues mehr veröffentlicht, dann können wir auch nichts Neues mehr senden und würden ein Oldie-Sender werden. Auf der anderen Seite fragen wir uns natürlich auch, wo kommen die Stars, die wir heute noch auf die Bühne bitten, demnächst her? Wo ist der Nachwuchs? Wo sind die Stars von morgen? Wo soll die nächste oder übernächste Generation ihre Lieblingssänger herbekommen? Wir machen die Künstler nicht. Dafür ist die Industrie mit ihrem Angebot zuständig. Es wäre aber wichtig, dass wieder Künstler heranwachsen, die so lange im Geschäft bleiben können wie zum Beispiel Udo Jürgens.
Reinhard Kröhnert: Letztendlich machen die Fans die Stars. Aber natürlich ist beiden Seiten gedient, wenn ein neuer Künstler in das Konzept der Radiomacher passt. Wenn die Künstler nicht nur durch die Aktivitäten der Industrie in der Öffentlichkeit präsent sind, sondern die Musik auch noch ständig im Radio läuft, dann hat das einen ganz anderen Effekt, als wenn ein Thema nur von der Industrie promotet wird. Ein Gegenbeispiel sind die ganzen "Ballermann-Schlager", die ja überhaupt nicht im Radio gespielt werden. Aber so etwas läuft trotzdem erfolgreich. Gleichzeitig glaube ich auch, dass es schwierig ist, etwas durch ständige Radio-Präsenz zum Laufen zu bringen, wenn dann die Tonträger nirgends zu bekommen sind.
Rena Pieper: An dieser Stelle fehlt der Industrie und den Künstlern natürlich das Fernsehen. Oft kommen Leute bei den Soundchecks unserer öffentlichen Veranstaltungen zu uns und fragen: Wer ist das gerade, der da auf der Bühne probt? Leider lernen die Zuschauer und Hörer die Gesichter der Künstler nicht mehr kennen. Häufig können die Schlager-Freunde, die in kleineren Städten wohnen, auch die Tonträger nur sehr schwer erwerben.
Man kann feststellen, dass die WDR-4-Crew ein sehr gutes Gespür dafür hat, was das Publikum möchte. Auch die Förderung des Nachwuchses wird groß geschrieben.
Reinhard Kröhnert: Das ist unser tägliches Geschäft. Es kommen neue Titel heraus, mit denen wir bemustert werden und dann durchlaufen sie alle den gleichen Prozess. In der Abhörsitzung werden die Lieder geprüft, ob und in welchem Rahmen sie sich für das Programm eignen. Wir sind insgesamt fünf Kollegen in diesen Sitzungen, und wir diskutieren über die Titel und nehmen sie eventuell ins Programm auf. Aber es kommt auch vor, dass wir Titel von Künstlern aufnehmen, die von der Industrie überhaupt keine Unterstützung bekommen, die dort vielleicht gar keine Chance hätte. Bei uns werden sie dagegen regelmäßig gespielt.
Rena Pieper: Manchmal ist es auch umgekehrt. Die Industrie jubelt einen Künstler hoch, wir müssen aber sagen: Tut uns leid, da können wir nichts machen. Froh sind wir, wenn ein neuer Künstler kommt und richtig gut singen kann. Auch die Produktion und die Komposition müssen in Ordnung sein. Und der Text sollte nicht von der dümmsten Sorte sein.
Wie sehen Sie das Programm von WDR 4 künftig?
Rena Pieper: Wir haben vor einigen Monaten eine kleine Strukturreform durchgezogen. Das Wochenende haben wir ein bisschen verändert, beim Programm unter der Woche fast gar nichts. Insgesamt werden wir in der nächsten Zeit nichts ändern.
Quelle: Musikmarkt - 06.06.07