AW: Welcher Dudelsender spielt zuerst keine 80er mehr?
Thematisieren wir mal "gefühltes Alter" vs. "tatsächliches Alter". Das gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Musiktiteln. Abhängig ist das gefühlte Alter von einigen Faktoren. Ein nicht unbedeutender ist sicher die Anmutung des Titels, wie progressiv ist das Stück, ist es zeitlos, ist es u.U. momentan aktuellen Titeln ähnlich (es wird ja sehr viel gecovert und gesampelt)? Ein anderer Faktor ist: Wie oft habe ich den Titel gehört? Durch die heutige penetrante Hardcore-Rotation (bis zu 8x am Tag) nutzen sich viele Stücke sehr sehr schnell ab. Auch hier kommt es auf das Stück an sich an. Ist es relativ eintönig und gleichförmig sowie anderen Titeln sehr ähnlich, geht das u.U. recht schnell. Somit wird eben nicht jeder Titel ein "Evergreen". Gerade die deutschen Radiostationen gehen dann dazu über, im Backkatalog nur absolute Evergreens einzusetzen, also nur einige wenige formatpassende Titel, die dann immer noch sehr sehr oft gespielt werden. Damit nutzen sich diese dann ein zweites Mal ab (sehr gutes Beispiel: Deep Blue Something: Breakfast at Tiffanys). Der richtige Weg wäre, einen möglichst grossen Pool im Backkatalog zu bilden. Es muss letztendlich eine richtige Mischung entstehen aus bekannten, aber auch weniger bekannten Titeln. Das "Jukebox"-Prinzip (Dauerrotation von einigen wenigen Tageshits) trägt sich eben nur eine kurze Zeit. Das mag bei absoluten Hitradios funktionieren, die sich auf eben diese Titel beschränken. Wichtig ist dann, dass diese Titel flott ausgetauscht werden und nicht ein Jahr oder länger dauerrotieren, d.h. der Durchsatz muss hoch sein. Die Hördauer bei diesen Programmen wird insgesamt eher kurz sein. Bei allen Formaten, die breiter aufgestellt sind, gerade beim in Deutschland so beliebten AC, muss das anders aussehen. Da werden in Deutschland mehrere Fehler gemacht:
Fehler 1: Es werden aktuelle Titel mit reingenommen, die nicht in ein AC-Format passen
Fehler 2: Es besteht ein viel zu kleiner Pool an älteren Titeln, die zu eng rotieren
Fehler 3: Es wird in vielen Fällen keine tageszeitangepasste Abstufung gemacht
Fehler 4: Es gibt keine Überraschungselemente im Programm
Fehler 5: Es wird zu viel Eigenwerbung (Teasing, Backselling) gemacht
Fehler 6: Es mangelt an Personalities on air
die Fehlerliste ist noch länger und differenzierter, aber da müsste ich dann ein Buch drüber schreiben. Statt Bücher lesen und Berater bezahlen, würde helfen, mal über den Tellerrand hinaus in Programme jenseits der deutschsprachigen Grenzen hineinzuhören.
Und hört mir auf mit Marktforschungsergebnissen. Ein guter Musikredakteur braucht KEINE Marktforschung. Die Marktforschung generiert sich ihre Ergebnisse selbst. Bei diesen Musiktests werden kürzeste Schnipsel von Musiktiteln der Bewertung unterbreitet. Sowas funktioniert nur bei Bekannten oder bei sehr eingängigen Titeln. Sperrigere Musikstücke, die weniger bekannt sind, würden bei so einem Test haushoch durchfallen. Nehmen wir als Beispiel das Bekannte (und beliebte) Stairway to heaven. Der Titel ist allseits bekannt, daher testet er u.U. gut. Wäre er aber neu und unbekannt, würde er durchfallen. Klar, wenn ich so ein Stück nach einem 5-Sekunden-Ausschnitt (möglichst noch in bescheidener Tonqualität) bewerten soll. Also, spart Euch das Geld für die Tests. Schafft Euch einen Musikredakteur an, der was kann, der ein GEFÜHL FÜR MUSIK hat und einen Bezug dazu. Dann klappts!!
Was läuft bei mir grad?
Richard Hawley - Open up your door
und jetzt dürft ihr raten, in welchem Programm?