Media-Analyse 2012 Radio I: Reaktionen und Meinungen

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Weil die Hörer als quasi Pay-Radio-Kunden nunmal auch ein Recht auf Unterhaltung haben. Für leichte Kost die Privatsender, für den "Bildungsauftrag" ÖR? Nö, nö!
Wahrscheinlich vertrittst Du deshalb diese Position, weil der private Rundfunk in Deutschland schlechter ist, als die meisten öffentlich-rechtlichen Unterhaltungssender.
Mir ging es jedoch darum, ideale Bedingungen aufzuzeigen.

Normalerweise liefern staatliche Unternehmen schlechtere Produkte, als privatwirtschaftlich geführte, weil erstere kaum einen Anreiz zur Qualitätsverbesserung haben, die Bezahlung ist nämlich garantiert und niemand braucht sich mehr wirkliche Mühe zu geben.
Das gilt aber nur unter den Bedingungen einer echten Marktwirtschaft.
Diese ist beim Rundfunk nicht gegeben, weil die Zahl der Marktteilnehmer (also der Programme) zu klein ist.
In einem System, in dem kein echter Wettbewerb existiert, kann es zu dem paradoxen Phänomen kommen, dass staatliche Betriebe mitunter sogar bessere Produkte liefern, als private.

Wir würden hier in diesem Forum ganz anders diskutieren, wenn es einen freien Markt in Sachen Rundfunk gäbe.
Dann würden die privaten Hörfunkprogramme die öffentlich-rechtlichen in Sachen Qualität überflügeln.
Um mal ein in dieser Hinsicht besonders herausragendes Beispiel anzuführen: Die Stadt Istanbul (ca. 13 Mio. Einwohner).
Neben den vier öffentlich-rechtlichen Programmen der TRT gibt es laut FMList dort 102 Privatsender (der Frequenzabstand beträgt dabei i.d.R. 200 kHz): Bei so einer Auswahl ist definitiv für jeden etwas dabei.
 
@ricochet
kannst du mir auch das zeug besorgen, was du dir morgens in deinen kaffee rührst. ^^

Wieso? Zucker gibt's in jedem Supermarkt.

@Internetradiofan: Vor allem müssten die Privatsender ihr Geschäftsmodell ändern, was unter den gegebenen Umständen leider nicht möglich scheint. Warten wir noch ein bisschen bis sich der letzte Heuler am Dudelradio satt gehört hat. Not macht bekanntlich erfinderisch!

Aus der pahantasiereichen MA werden wir nichts über die tatsächliche Befindlichkeit des Patienten Radio erfahren, der beste Indikator für eine Zustandsbeschreibung sind die auflaufenden Werbeeinnahmen.
 
Die MA ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, aber eben die Währung auf die sich alle geeinigt haben. Mit der Anzahl der Befragten bekommt man gerade so ein einigermassen genaues Bild über die tatsächliche Radionutzung. Das Ergebnis zeigt, ob ein Sende beliebt ist Öde reicht. Ganz einfach. Programme nach Qualität zu bewerten finde ich eine lustige Idee. Wer entscheidet denn, was Qualität ist und was nicht. Sogar in diesem Forum kann man sich nicht entscheiden. Besteht Qualitätsradio aus möglichst unbekannter schräger Musik und endlosen Beiträgen über Randthemen? Das ganze ist doch höchst subjektiv, wie soll das gemessen werden?

Das Radio in Deutschland ist wie es ist ist sicher nicht immer schön, aber es entspricht dem Geschmack der meisten Menschen, die hier leben. Und es gibt für alle zahlreiche Angebote - auch ausserhalb des Mainstreams. Im Netz und auch im Radio. Das jetzt alle ö-r-Anstalten nur noch Programme abseits des Massengeschmacks machen sollen erschliesst sich mir nicht. Die Masse wäre kaum überzeugbar, dafür dann noch Gebühren zu zahlen.
 
Was ich ja wieder so schon an dieser Diskussion finde, ist, dass sich hier einige Personen zu weigern scheinen auch nur ANNÄHERND zu akzeptieren, dass die Mehrheit der deutschen Radiohörer nun mal doch relativ einfach gestrickt ist.

Ich glaube, daran zweifelt auch niemand. Es ist eher die Konsequenz, die daraus gezogen wird, nämlich, daß ALLE Sender nach dieser Zielgruppe lechzen. Von mir aus dürfen gerne die werbefinanzierten Sender solche Hörer aufsaugen, von gebührenfinanzierten Sendern (die auch ICH bezahle) erwarte ich dagegen etwas mehr Substanz und auch, daß sie zumindest den Versuch unternehmen, den Hörer als etwas zu fordern, ihn "anzustupsen", ihm zu zeigen, daß es noch eine Welt außerhalb des Tellerrands und der Scheuklappen gibt.

Ein Kumpel von mir hat mal zu mir gesagt "Ich lüge nie im Radio. Wenn mir ein Song nicht gefällt, dann sag ich einfach nix zu ihm. Und wenn ich ihn verkaufen muss, weil er neu ist, dann spare ich mir jede Wertung in der Moderation."

Dann bleibt aber die Frage offen, inwieweit sich so ein Programm noch von einem reinem Musikstream oder Festplattendudler mit Zufallsfunktion unterscheidet.
Vielleicht bin ich auch zu anspruchsvoll, wenn ich erwarte, daß ein Moderator auch mal einen schlechten Song verreißt, ebenso, wie er einen guten Song, der vielleicht "nur" auf einem Album versteckt ist, den Hörern mit ein wenig Nachdruck und Leidenschaft ans Herz legen soll. Vielleicht bin ich wirklich zu anspruchsvoll...
 
Das gefällt mir, so MUSS Radio sein! ;)
https://rapidshare.com/files/2315297657/oe3-wecker-kinderwecker-04-04-1993.mp3

Nur nebenbei, zur Abwechslung ...
So gut hat Radio in den achtziger und frühen neunziger Jahren geklungen! :thumbsup:

Welcher Programmveranstalter würde sich heute noch trauen, eine derart breit gefächerte Musikauswahl zu bringen?
Etwas Vergleichbares habe ich zuletzt auf einem Piratensender gehört: http://cityfm.de

Ich hoffe sehr, dass so etwas wieder eine Renaissance erlebt!
 
Wenn alle so viel Vertrauen in die MA haben frage ich mich doch wie's kommt, dass die Werbetreibenden so wenig Geld in die Hörfunkwerbung stecken. Wahrscheinlich weil sie die Zahlen für unglaubwürdig halten und davon ausgehen, dass sie in vielen Fällen gar nicht mehr in der Lage sind übers Radio die gewünschten Zielgruppen zu erreichen. Keiner glaubt, dass eine Qualitätsbewertung Sinn machen würde, denn Qualitätsmaßstäbe sind eine Frage des persönlichen Empfindens. Um glaubwürdige und halbwegs belastbare Zahlen zu Tage zu fördern wäre es zumindest nötig auf die Diary-Methode umzusteigen. Die MA hat mit der Verbreitung der Mobiltelefone den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verloren, man hält nur noch daran fest, weil die Umstellung auf ein verlässliches Verfahren unerfreuliche Erkenntnisse über die tatsächliche Radionutzung mit sich brächte und der Aufwand eines Methodenwechsels angesichts der abgeschotteten Radiomärkte gar nicht mehr dafür stünde. Vertrauen kann so erst recht nicht entstehen.
 
Sehe ich da richtig, dass Radio Teddy die drittgrößten Zuwächse aller ausgewiesenen Radiosender in der Gesamtzielgruppe Mo-Fr 6 bis 18 Uhr nach baden.fm und donau 3 fm hat ? (reichweiten.de)
 
Hallo Internetfan,Dein Statement spricht uns aus dem Herzen.gehe nach N.Y.,nach Los Angeles;dort wirst Du eine Radiokultur vorfinden,welche sich um Lj von dem unterscheidet,was einem hier in diesen Deutschen Vereinigten Emiraten erwartet bzw präsentiert wird.Dortens hat man für jedes musik.Genre einen Sender mit Ptofis hinter dem Mikrophon.Dort macht Radiohören noch richtig Spass,einfach geil. Dazu natürlich die Kommerziellen, aber der Schmerz ,dies zur akustischen Kenntnis zu nehmen,ist nicht so immens wie hier in Deutschland.
Hier sind 96% aller Sender gleichgeschaltet und klingen wie die Hintergrundbeschallung bei Karstadt.
Erfolg wird leider nur bewertet an der Anzahl der Einschaltenden,nicht an der Qualität des Gesendeten.
Ich hoffe,das ssich dies bald ändern wird,um Sender wie Antenne Bayern an den Abgrund zu führen..
 
gehe nach N.Y.,nach Los Angeles

Wobei Los Angeles noch mehr Auswahl bietet; in NY sind "Adult Contemporary" und Urban stark überrepräsentiert, aber in Südkalifornien stimmt der Mix. Mit den einstrahlenden Sendern aus San Bernardino und Riverside ist L.A. mit gut 50 Sendern der am dichtesten besetzte Radiomarkt überhaupt, immerhin 12 Stationen sind spanischsprachig (zwei davon sind in den Top-10). In Sachen Vielfalt und Ausgewogenheit der Genres ziehe ich dennoch den Süden vor.
 
Mal lockerer sehen. Nicht Transportteppich. Die MA ermittelt den Beliebtheitsgrad eines Senders, nichts anderes. Das tut sie aber recht genau und da ist nichts mit schönreden.
Ich habe nichts darüber geschrieben,für wie glaubwürdig ich die MA im Sinne ihrer Aufgabenstellung halte. Transportteppich und Beliebtheitsgrad sind kein Widerspruch! Nochmal: die Eignung eines Programmes zu beurteilen, um redaktionelle oder sonstige programmliche Inhalte ans Publikum zu bringen, ist eben was gaaanz anderes, als die MA leistet.
 
@ricochet

für eine person, die nix mit radio zu tun hat und so gestrickt ist wie du, war deine aussage vorhersehbar. deine "verschwörungstheorien", was die MA betrifft, deutet aber daraufhin, daß du keine ahnung hast. ich finde es aber immer wieder witzig, wie sich leute-entgegen dem trend-darüber auslassen, daß ja radio und seine werbung auf dem absteigenden ast sind. und immer wieder sind so leute wie du unterwegs, die sowas nie mit zahlen, sondern mit kaffeesatz-leserei "unterfüttern".
 
Ich habe die Zahlen gesehen und mit Insidern gesprochen, die stimmen doch alle ins selbe Klagelied ein. Ist mir schon klar dass es auch viele gibt, die sich die Lage schönreden müssen. Ich stelle mich gern der Kritik.

Werbeumsätze nach Medien (Januar 2012):

Print: 708.670.000
Fernsehen: 659.932.000
Internet: 172.654.000
Radio: 106.789.000
Plakat: 65.235.000

Allerdings gibt es Schätzungen, die das Internet wesentlich weiter vorn sehen, das Radio gewann im Vergleich zum Vorjahr dezent hinzu (das meinst du wohl mit Trend).
 
nee, is ja putzig! du hast mit jemanden gesprochen, der der schwippschwager von einem ist, der was mit einem am laufen hat, der radio macht. na da biste hier aber fast der einzige. :D welcher kritik stellst du dich denn? du unterstellst zum beispiel, daß radio und rundfunk-werbung derzeit weniger nachgefragt wird. wo liest du sowas? ich habe da andere-wirklich gesicherte zahlen-die wir gerne austauschen können. :D ich fürchte hier im forum echt immer dummgelaber aus hintertupfingen, von gelangweilten radiohörern, die alles besser wissen. bist du das?
 
Ich habe mir, da es ja dazu auch schon mal Diskussionen gab, nun mal angeschaut, wie das Ergebnis für Energy in den Abendstunden aussieht, also im Umfeld der Wosch-Sendung:

Energy Hamburg (20:00 - 22:00 Uhr): +37,5 % / +20,0 %
Energy Stuttgart (20:00 - 22:00 Uhr): 0 % / -36,4 %
Energy München (20:00 - 22:00 Uhr): -47,1 % / -66,7 %
Energy Berlin (20:00 - 22:00 Uhr): -26,7 % / +117,6 %

Das Gesamtbild hängt sicherlich von den einzelnen Standorten auch ab und der örtlichen Konkurrenz. Insgesamt scheint mir daher auch kein einheitliches Bild herauszulesen sein. In Hamburg würde die Sendung demnach - entgegen des restlichen Trends - recht gut ankommen (über die gesamte Sendedauer gibt es Zuwächse). In Stuttgart sind die Zahlen stabil bzw. fallen sogar ab 21:00 Uhr. In München dann der exakt umgekehrte Trend zu Hamburg: In den Abendstunden scheint Wosch überhaupt nicht anzukommen, während der Sender insgesamt Zuwächse verzeichnet. In Berlin dann ein ganz krudes Bild: Ab 20:00 Uhr verliert man Hörer und ab 21:00 Uhr gibts dann ein sattes Plus, die Hörerzahlen werden sogar mehr als verdoppelt (von den Zuwächsen im Anschluss gar nicht erst zu reden, die befinden sich im Bereich zwischen 400 und über 600 Prozent).
 
... und wenn wir einmal bei Definitionen sind:

Wer oder was ist ein "schlechter" Song, und wer sagt mir, dass ein Lied, welches mir unter Umständen gefällt, ein "schlechter" Song ist?
 
Wir würden hier in diesem Forum ganz anders diskutieren, wenn es einen freien Markt in Sachen Rundfunk gäbe.
Dann würden die privaten Hörfunkprogramme die öffentlich-rechtlichen in Sachen Qualität überflügeln.
Um mal ein in dieser Hinsicht besonders herausragendes Beispiel anzuführen: Die Stadt Istanbul (ca. 13 Mio. Einwohner).
Neben den vier öffentlich-rechtlichen Programmen der TRT gibt es laut FMList dort 102 Privatsender (der Frequenzabstand beträgt dabei i.d.R. 200 kHz): Bei so einer Auswahl ist definitiv für jeden etwas dabei.
Dort hast Du ohne Zweifel eine hohe Quantität. Ob damit eine hohe Qualität verbunden ist, steht auf nem anderen Blatt. Letztlich haben wir doch auch tausende Internetradios - und viele davon sind von Qualität meilenweit entfernt.

Außerdem bezweifle ich, daß auf einem "freien Markt" automatisch die Privaten die Öffis "in Sachen Qualität" überflügeln würden. Es kommt immer drauf an, was man unter "Qualität" versteht. Journalismus kostet ein Schweinegeld, die Produktion aufwendiger Kulturprogramme (so man das mit "Qualität" gleichsetzt) ebenso. Wenn aber nur wenige Menschen Interesse daran haben, wie soll ein Privatfunksystem, das sich aus Werbung ernährt (die wiederum von kulturell Interessierten i.d.R. verabscheut wird), dann wirtschaftlich erfolgreich am Markt (nix anderes ist es) bestehen?

Kultur ist in der nullten Ableitung immer Draufzahlgeschäft - erst wenn man weiterdenkt, werden "Gewinne" sichtbar. Das sind aber gesellschaftliche Gewinne, die sich mitunter nicht in Euro und Cent berechnen lassen, oder wenn, dann auf üblen, langen Umwegen, auf denen der Ursprung bzw. die Erinnerung an den Ursprung gerne abhandenkommt. Wer wird schon präzise sagen können, warum in einem bestimmten Land(strich) mehr ehrenamtliches Engagement besteht, geringere Schul- und Ausbildungsabbrecherzahlen, weniger Vandalismus im öffentlichen Raum, mehr Zusammenhalt der Generationen, mehr Bewußtsein für Natur und Schöpfung usw? Das sind für mich alles Merkmale von "mehr Alltagskultur". Die könnten durchaus Folge auch (nicht nur) von mehr Kultur im Hörfunk sein - allerdings nur in einem ganzheitlichen gesellschaftlichen Prozeß. Einem Prozeß, bei dem man später nicht mehr sagen kann, was nun Ursache und was Wirkung war. Und: einem Prozeß, den nicht jeder so unbedingt mögen wird, hängen doch die Gewinne vieler Bereiche der Wirtschaft untrennbar mit einer möglichst geringen Alltagskultur zusammen.

Ich behaupte mal was anderes: wäre Deutschland ein Volk von (Hoch)kulturjunkies, dann gäbe es den Privatfunk in der Art, wie wir ihn kennen, überhaupt nicht. Niemand wäre auf die Idee gekommen, mit werbefinanziertem Funk Geld verdienen zu können. Es gäbe gewiß privat betriebene Programme, aber dann auf Basis von freiwilligen Mitgliedschaften (und dennoch unverschlüsseltem Programm), auf Basis von Stiftungen oder Spenden, die überraschend freiwillig und üppig sprießen könnten. Dann gäbe es sehr wohl die Chance, daß Privatfunk qualitativ auch mal über öffentlich-rechtlichem Funk angesiedelt sein könnte. Das klingt alles sehr idealistisch - darf es auch, weil die Grundannahme einer Kulturgesellschaft bereits illusionär ist.

Programme nach Qualität zu bewerten finde ich eine lustige Idee. Wer entscheidet denn, was Qualität ist und was nicht. Sogar in diesem Forum kann man sich nicht entscheiden. Besteht Qualitätsradio aus möglichst unbekannter schräger Musik und endlosen Beiträgen über Randthemen? Das ganze ist doch höchst subjektiv, wie soll das gemessen werden?
Das ist in der Tat ein Problem. Dem kann ich mich auch nicht entziehen. Selbst so grundlegend wirkende Begriffe wie "authentisch" sind sehr dehnbar. Sich der Sache mal "philosophisch" zu nähern, wäre ganz spannend, bring tuns bekanntlich aber auch nix. Es muß irgendwas mit "wahr, gut und shcön" zu tun haben. Und mit "hat es ein Herz?" Und mit "kann es helfen, diese Gesellschaft in eine lebenswertere, menschlichere, ehrlichere Zukunft zu bringen?"

Dem steht der zutiefst menschliche Wunsch nach Verdrängung des nicht-wahrhaben-gewollten gegenüber. Und das leisten Ratespiele ums geheimnisvolle Geräusch oder das Geträllere von Lady Gaga 10 mal am Tag nebst Verweis auf deren vermeintlich erstrebenswertes Leben leider deutlich besser. "Falsche Freunde" könnte man das nennen, denn diese Welt ist weder gesund noch irgendwie erstrebenswert, weil sie den einzelnen nicht zu sich, sondern von sich wegbringt.

Es kommt für mich nicht unbedingt zufällig, daß der Hörfunk in der unmittelbaren (Nach)wendezeit der DDR seinen qualitativen Höhepunkt hatte. Die Menschen im Osten waren es leid, weiterhin mit Parolen bei Laune gehalten zu werden, sie suchten etwas realeres, gesünderes. Sie fanden es nicht, stattdessen fanden sie die Enttäuschung der ihnen (auch noch weitgehend freiwillig) übergestülpten West-Ordnung, die genauso abartig ist, nur mit anderem Geschenkpapier verpackt. Und dann zogen sie sich, als ab 1992 klar war, daß die Übung des aufrechten Ganges wieder beendet war, halt großteils in die nächste Nische zurück. Die, die nun naheliegend war, da im Angebot. Aus dem "Leseland DDR" (inzwischen längst als "Realiätsflucht" erkannt) wurde dann u.a. das Schunkel- und Banal-Land Osten. Auch im Radio. Zuletzt in Brandenburg, dort hatte man ja bis Sommer 1997 noch ein Programm für den aufrechten Gang.

Das Radio in Deutschland ist wie es ist ist sicher nicht immer schön, aber es entspricht dem Geschmack der meisten Menschen, die hier leben.
...was völlig korrekt ist, aber leider auch keine Antwort auf die anstehenden Fragen der Gesellschaft bietet. Vermutlich wären aber selbst Antworten, die in Richtung einer "gesünderen" Zukunft gehen, kaum hilfreich. Der Mainstream geht weltweit (!) immer tiefer in Abartigkeiten und Neurosen. Wer nicht mitspielt, ist gnadenlos raus. Im Kleinen vielleicht noch gar nicht so sehr, als Nation aber auf jeden Fall. Das dicke Ende kommt erst noch, keine Frage.

Und es gibt für alle zahlreiche Angebote - auch ausserhalb des Mainstreams. Im Netz und auch im Radio.
Wer gezielt sucht und auch massiv Technik einsetzt, um z.B. während Abwesenheit mitzuschneiden, der bekommt über alle Anstalten gesehen tatsächlich noch Angebot. Das ist nur sehr aufwendig und oft entgeht einem auch was. Ich fands allemal angemessener, Appetit auf Neues durch direktes Angebot zu machen.

Das jetzt alle ö-r-Anstalten nur noch Programme abseits des Massengeschmacks machen sollen erschliesst sich mir nicht. Die Masse wäre kaum überzeugbar, dafür dann noch Gebühren zu zahlen.
Da liegt leider der Kern. Die Gesellschaft ist nicht bereit, mehr Wahrheit und mehr Kultur zuzulassen. Gerade weil das so ist, müßte aber mehr Kultur in den Alltag einziehen, um auf dem "sanften Bildungsweg" (der oft über "Anfüttern" geht) doch noch eine kulturelle Öffnung zu erreichen. Wie fängt man damit am besten an?

(Wie es ein Opernhaus in Dresden macht, das weiß ich inzwischen. Und: die tun das sehr sympathisch. Es funktioniert sogar, zumindest an Einzelfällen nachgewiesen...)

Andererseits: warum sollte die Masse bereits jetzt schon nicht nur unwillig zahlen für Angebote, die es ihrer Meinung nach bei den Privaten genauso und "umsonst" gibt? Richtig: die Masse will bereits jetzt schon nicht zahlen. Sie tut es nur, weil sie GEZwungen wird und das System so gut gestrickt ist, daß sie kaum rauskommt und auch nicht klar sieht, wie sie sich des Systems als Ganzen entledigen könnte. Noch nicht.

Vielleicht bin ich auch zu anspruchsvoll, wenn ich erwarte, daß ein Moderator auch mal einen schlechten Song verreißt
Todsünde Nummer eins.
Wirklich, Countie? Ich denke, es kommt sehr aufs Umfeld an. Beispiel: das kleine Radio Top40 hatte dereinst eine extrem breite Musikauswahl von Indie-Rock (auch uralten Klassikern) bis Aggro Berlin, von Oldschool-Hiphop bis harten Elektrobrettern, von Singer/Songwriter bis Reggae. Und da gab es eine Moderatorin namens Anne, die durch ihre Direktheit bekannt war. Man wußte, daß sie Bushido und das damals aus dieser Richtung angesagte Zeug nicht mochte. Sie hat da kein Blatt vor den Mund genommen und das offen gesagt - die Hörer liebten sie dafür. Gut, nur die Hörer, die sie wegen genau so etwas mochten. Man wußte auch, daß Alex, der Musikredakteur, eher auf manche Sachen stand, die Anne nicht abkonnte - und man spielte gekonnt mit dieser Meinungsverschiedenheit, die ja auch real war. Warum sollte man es nicht tun? Top40 hatte genau wegen sowas seinen Charme. Der ging verloren, als im Sommer 2008 die Maulkörbe und das Formatkorsett kamen. Heute redet keiner mehr davon. Tendenz in der aktuellen MA: runter. Wieder.

(Ok, es war kein Verreißen eines zwingend "schlechten Songs", es war aber direkt die eigene Meinung. Wie selten ist sowas heute?)
 
Todsünde Nummer eins.
Dazu ein Nachtrag, habs doch noch auf der Festplatte gefunden. Top40-Anne zusammen mit Musikredakteur Alex Dietz, den sie sich zur letzten Sendung ins Studio schleppte und der mit ihr zusammen moderieren mußte. Ich finde, man kann das im passenden Umfeld durchaus - sehr sympathisch und direkt. Davon kann auch ich mich angesprochen fühlen (ablehnend oder auch zustimmend), während mich vorgefertigte 10-Sekünder einfach nur anwidern, weil sie deutlich erkennbar nicht echt sind.

(Ja, Annes Stimme hat auch, ähm... polarisiert...)
 

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  • Radio Top40 - Annes letzte Sendung 01122006.mp3
    2,4 MB · Aufrufe: 26
... sehr sympathisch und direkt. Davon kann auch ich mich angesprochen fühlen (ablehnend oder auch zustimmend), während mich vorgefertigte 10-Sekünder einfach nur anwidern, weil sie deutlich erkennbar nicht echt sind.

Volle Zustimmung! Der "Musikredakteur" hatte aber auch bemängelt: "Bushido hat nicht viel zu erzählen, immer das Gleiche"! Leider trifft das auch auf die meisten Radiosender zu ...
 
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