Hi!
Hab den Text von Kalkofe irgendwo und such mal. Vielleicht hilft zwischendurch auch ein Logbuch von Herrn Wischmeyer zum selben Thema...
Wischmeyers Logbuch:
Wer sich ein Ohr abschneidet, Gewinnt hundert Mark
Abschied vom Radio
Im Radio des ausgehenden Jahrtausends wird die mühsam errungene
Kulturstufe der Menschheit täglich 24 Stunden lang negiert. Unbemerkt
haben sich verbrecherische Kräfte des Hörfunks bemächtigt und die
Königin des Äthers in eine Sickergrube verwandelt. Sogenannte
Moderatoren spucken elliptische Satzrümpfe in die Mikrophone, deren
Ähnlichkeit mit deutscher Sprache auf purem Zufall beruhen. Inhaltlich
geht es entweder um Gewinnspiele oder um die Penetrierung des "Claims".
Damit meinen die Schurken in den Formatradios einen Slogan, der
fünfzigmal pro Stunde in die Köpfe der Hörer geprügelt werden muß. "Der
beste Oldie-Mix und die Superhits der 80er und 90er Jahre mit mehr
Abwechslung" ist so ein typischer "Claim", der allerdings auch durch
pausenlose Wiederholung nicht an poetischer Kraft gewinnt. Wenn also das
moderne Radio schon nicht mehr zu uns spricht, bleibt ja noch die Musik.
Doch auch in der Plattenküche ist Schmalhans Küchenchef. Von mehreren
hunderttausend spielbaren Popsongs sucht sich der Formatgestalter die
dreihundert langweiligsten aus und nudelt sie durch seine "hot
rotation". Kaum glaubt man eine langweilige Balade überwunden, quillt
dieselbe nölige Lala schon wieder aus dem Lautsprecher. Einzige
Bedingung an einen Radiotitel ist dessen über Jahre ausgewiesene
Mittelmäßigkeit. Formatradio ist Fast food fürs Ohr: Es schmeckt nicht
richtig ekelig, aber eben auch nicht gut. Warum tun Menschen so was,
warum gehen sie keinen anständigen Gewerbe nach, machen einen
Minnibagger-Verleih auf oder füllen Kondomautomaten nach? Weil im
Werbeumfeldradio natürlich eine menge Geld verdient wird. Nicht an der
Front, wo die armen Würstchen arbeiten, sondern da, wo die Besitzer die
Coupons schneiden. Ist ja auch nix dagegen zu sagen: Mäuse machen im
Mittelmaß. Die allermeisten Konsumprodukte heute auf dem Markt sind
Schund, warum sollten ausgerechnet Radioprogramme besser sein? Weil es
auf diesem Markt kein freies Zutrittsrecht gibt. Da darf nicht jeder
einfach seinen Mumpitz in den Äther husten und damit Kohle machen.
Radiofrequenzen stehen entweder unter öffentlich-rechtlicher Verwaltung
oder werden aus Lizensen vergeben. Über die Vergabe und Kontrolle
befindet die Landesmedienanstalt. Die Ergebnisse sind erschütternd: So
nimmt der länderübergreifender Konzentrationsprozeß unter den
Radiosendern zu, bundesweit hört sich alles gleich an, und die
Lizensnehmer tanzen den Kontrollorganen auf der Nase herum. Da wird die
Frequenz für eine Jazzwelle vergeben, dich sich über nacht in ein
08/15-Popformat wandelt, und niemand stört sich dran. Da werden Werbung
und redaktionelle Beiträge überall frechdurchmischt, und niemand greift
ein. Von allem weis der normale Hörer natürlich nichts, nur eines ahnt
auch er: Täglich gibt ihm das Radio zu verstehen, daß er bestenfalls ein
gescheiterterHilfsschüler ist, der sich durch primitive Gewinnspiele
ködern läßt und kein Wert auf intelligente Ansprache legt. Die weltweit
operierende Formatmafia hat das Radio in ein Jukmedium verwandelt. Und
weil die Radioschaffenden tief im Inneren ahnen, welches Geschäfft sie
da betreiben, tuen sie ihr banales Wirken mit allerlei Gefasel aus der
Marktforschung. Und weil im Radio Herr Kaiser seine neuen Kleider trägt,
muß der Angestellte mit trendigem Vokabular aushelfen: Der Wortbeitrag
wird zum "event", der Programmhinweis zum "preseller", der Schmierzettel
zur "linercard", und uralt Witze zwischendurch sichern die
"Fun-Kompetenz". Um nun komplett sicherzugehen, daß einem darantiert
nichts Neues eingefallen ist, wird jeder Musiktitel, jede
Moderationsstimme "getestet", d.h. einer Zufallshorde als 15-Sekünder um
die Ohren gehauen. Und wenn man dann alle getesteten Programmelemente
beisammen hat, dürfen sie immer noch nicht ausgestrahlt werden. Wie der
Teufel das Weihwasser scheut der Formatradiot das "trockene Wort". Wenn
Sprache droht, wird an- und abgejingelt und im Verlauf monotone
Scheppermusik druntergequirlt. Wem das alles nicht längst zu den Ohren
wieder rausgekommen ist, der gehört zu den 85% der Befölkerung, die sich
genau dises Radio täglich anhören. Das ist die andere Seite der
Wahrheit. Schade ist es nur um ein wundervolles, einfaches Medium, das
unseren Geist mehr beflügeln könnte als das dumme, teure Fernsehen.
Gruss,
Olli