Ich bin einigermaßen erstaunt, wie der Bericht des "Rates für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" aufgenommen wurde. Vielleicht war die Art und Weise der Vorstellung des Berichtes bereits ein Fingerzeig. Denn wer diese bei Phoenix oder im Stream verfolgt hat, kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Das kleine Podium war scheinbar in einem Eingangsbereich/Foyer aufgebaut, über den Köpfen der Redner sah man öfters groß den Wegweiser zur (kein Witz) Weinstube und den Toiletten. Im Hintergrund räkelte sich der Pförtner in seinem Glaskasten. Der stellvertretende Vorsitzende des Rates war per Videokonferenz zugeschaltet, dessen Übertragungsqualität sich darstellte, als hätte es coronabedingte Onlinemeetings und Homeschooling noch gar nicht gegeben. Seine Ausführungen waren einigermaßen konfus und wirkten unvorbereitet.
Es lohnt sich aber unbedingt, den „Bericht“ zu lesen, den diese Experten vorgelegt haben. Es macht auch nicht viel Mühe (bei mir hat eine S-Bahn-Heimfahrt ausgereicht), denn es sind nicht viel mehr als 30 Seiten. Voll mit Plattitüden und Pauschalisierungen. Man könnte es als „Gefälligkeitsgutachten“ bezeichnen, aber das würde dem Text schon zu viel Ehre machen. Es gibt keine einzige Fußnote und null Quellennachweise/Belege für die enthaltenen Behauptungen. Ein fachlicher oder gar wissenschaftlicher Ansatz ist also nicht erkennbar. Man kann es als „Meinungsbeitrag“ abheften, aber ich weiß nicht, ob es einen solchen gebraucht hätte.
Denn – Überraschung!!! - die Ratsmitglieder wollen den ÖRR im Prinzip so lassen, wie er heute ist. Sie wollen ihn sogar noch erweitern! Man schlägt nämlich vor, eine weise ARD-Anstalt als neue Spitze der Pyramide zu gründen sowie ein Unternehmen, das eine gemeinsame technische Plattform bauen und betreiben soll. Nachtigall man hört dir trapsen, viele neue schöne Stellen und Posten. Letzteres soll so attraktiv aufgestellt werden, dass sich die besten Programmierer und Kreativen dort bewerben. Alles natürlich bezahlt von den Zuschauern und Zuhörern.
Die Ratsmitglieder geben zu, dass sie nicht die Zeit hatten, sich mit sämtlichen wichtigen Fragestellungen und Problemfeldern zu beschäftigen. Einige der unbearbeiteten Punkte werden hinten noch kurz aufgeführt. Nicht ganz unwichtige, wie die Kosten der Altersversorgung oder Unproduktives (wie die Beitragsservicebehörde mit 1.000 Beschäftigten) werden gar nicht erst erwähnt.
Ob die Ratsmitglieder sich überhaupt ein Bild vor Ort in den Büros, Studios und Redaktionen gemacht haben, ist nicht erkennbar. An anderer Stelle hat neulich jemand augenzwinkernd auf das „Im Stoff stehen“-Wissen von Leuten hingewiesen, die immer von den „Dritten“ sprechen. Tatsächlich wird im Bericht öfters von den „3. Fernsehprogrammen“ geredet.
Das hindert die Autoren aber nicht, in den gewohnten Unsinn von „digital – digitaler- am digitalsten“ einzustimmen. Das ist immer schön hingeschrieben, aber ohne Konkretes völlig sinnlos. Ich habe da immer das Bild im Kopf von Menschen, die zum ersten Mal eine Fernbedienung in der Hand haben und sich freuen, dass man Programmplätze frei belegen kann (seinen Regionalsender natürlich auf die 3). Der zugeschaltete Professor saß jedenfalls stolz vor seiner riesigen Bücherwand.
Die Grünen-Vorsitzende kam ja diese Woche in die Bredouille, weil sie die Rentenhöhe nicht kannte. Mich würden die Antworten der Ratsmitglieder interessieren, wenn sie einige der meistgenutzten Podcasts von ARD, ZDF und DLF nennen sollten.
Eigentlich verwunderlich, dass das Wort „Podcast“ im Bericht nur 1x vorkommt, nämlich hier:
Substanzielle Audio- und Videoproduktionen – vom Podcast über das Feature bis zum Hörspiel, vom Clip über die Serie bis zum Dokumentar- und Spielfilm –
Nun bin ich nicht sicher, ob man hier Podcasts von Features und Hörspielen abgrenzen wollte oder Podcasts fordert, die sich mit Features beschäftigen, eigentlich egal, es bleibt hohles Buzzwording.
Genau wie
ARD, ZDF und Deutschlandradio benötigen eine Organisation, die schnelle und agile Entscheidungen treffen kann.
Ich will niemanden zu nahe treten, ob Frau Jäkel oder Herr de Weck selbst jemals ein agiles Projekt zum Erfolg gebracht haben, kann ich nicht einschätzen, bei den Herren und Frauen Professoren habe ich meine Zweifel. Dieser Satz ist auch nur einer von vielen im Bericht, der die Schizophrenie ausblendet, Dinge zu fordern, die für eine so große und teure Organisation wie den ÖRR selbstverständlich sein sollten und beim tatsächlichen Fehlen ein Argument für sofortige Konsequenzen bei den Verantwortlichen sein müssten. Diese werden im Bericht aber geschont und müssen sich keine Sorgen machen. Bestenfalls wären ihre Nachfolger betroffen, ein wenig mehr Fortbildung zu machen oder stärker im Team zu arbeiten.
Ich spare mir die Mühe, eine Top 10 der Bullshit-Sätze rauszukopieren. Einer, der uns hier als Radiofans betrifft, soll genügen:
Das Deutschlandradio […] bedient Zielgruppen, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk wenig und von privatwirtschaftlichen Medien gar nicht angesprochen werden.
Aha, diese Sonderlinge werden also von privaten Medien „gar nicht angesprochen“. Noch Fragen?
Mein Fazit: Dieser Bericht ist nur traurig. Es wurden wieder Zeit und Ressourcen vergeudet. Die aufgestellten Vorschläge sind entweder so banal oder unrealistisch, dass sich niemand bei den ÖRR damit wirklich näher beschäftigen muss. Die Politik, bei der ja jetzt angeblich der Ball liegt, wird den Teufel tun anhand dieser Wischi-Waschi-Empfehlungen an betonierte Strukturen wie Sendeanstalten und KEF Hand anzulegen.
Ich hatte wirklich nichts von diesem Zukunftsrat erwartet. Was da aber nun schlussendlich abgeliefert wurde, spottet jeder Beschreibung. Dieser dünne Bericht wird eine kuriose Fußnote der deutschen ÖRR-Geschichte bleiben und in noch knarzenden Schubladen verschwinden.
Und um noch auf den Threadtitel zu antworten: Ich prognostiziere, dass der Bericht keine Folgen haben wird.
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