Auszug aus „Real existierender Radio-Sozialismus“, Süddeutsche Zeitung vom 16.10.02
Von Hans Hoff
Düsseldorf – Früher war alles ganz einfach. Da wurde im Osten verzweifelt der Sozialismus versucht, während sich der Westen dem Kapitalismus hingab. Dann kam die Wende, wirbelte alles durcheinander, und heute, kurz vor der Osterweiterung der Europäischen Union, sind die Verhältnisse längst nicht mehr so simpel zu beschreiben. Da kommt es dann schon mal vor, dass zehn junge Journalisten aus Osteuropa und Zentralasien nach Nordrhein-Westfalen eingeladen werden, fünf Wochen lang die Hörfunklandschaft bereisen und hinterher ziemlich einhellig urteilen: „Das ist richtiger kleiner Sozialismus hier.“ Voller Entsetzen, aber auch voller Überzeugung sagen sie das und stellen damit den Installateuren des hiesigen Systems kein besonders gutes Zeugnis aus.
Dass die Radiolandschaft in Nordrhein-Westfalen eine ziemlich komplizierte ist, weiß jeder, der hiesige Politiker schon einmal stolz übers viel beschworene Zwei-Säulen-Modell hat schwadronieren hören: Auf der einen Seite gibt es die Betriebsgemeinschaft, die sich um Werbeeinnahmen kümmert, auf der anderen die Veranstaltergemeinschaft, die das Redaktionelle regelt. Weil es zwischen den beiden immer wieder Abstimmungsprobleme gibt, ist es nirgendwo sonst auf der Welt so schwer, ein Privatradio auf Sendung zu bringen. Zumal die Eigner täglich noch eine Stunde Sendezeit abknapsen müssen, um mitmachwütigen Radioamateuren des Bürgerfunks eine Spielwiese zu bieten.
Das mit der Verpflichtung zum Bürgerfunk will Michaela Gronova einfach nicht in den Kopf. „Ich verstehe diesen Kapitalismus nicht“, sagt die 22- Jährige, die in der Slowakei beim Auslandsradio arbeitet: „Da nimmt man mir einfach Teile meines Privatbesitzes und zwingt mich, Bürgerfunk zu senden. Das ist ja so, als würde man BMW zwingen, Fremde ins Werk zu lassen, damit sie sich dort ein Auto bauen können.“ Auch Olga Kornejewa vom kasachischen Radio Shakar versteht die NRW-Hörfunkwelt nur begrenzt. „Das ist doch sehr seltsam, dass die Privatradios hier keine Konkurrenz haben“, sagt die 28-Jährige, die in ihrer Heimat auch im Fernsehen moderiert. Ihr gefällt auch die Planwirtschaft, die hierzulande übers Erstellen von computergestützten Playlists geregelt wird, nicht so ganz. „Bei uns haben wir einfach entschieden, dass wir Britney Spears nicht spielen, und deshalb ist sie bei uns noch nie gelaufen“, sagt sie, hat aber spätestens während ihres Praktikums beim Warendorfer Stadtradio erkennen müssen, dass die Freiheit von Musik begeisterten Radiomachern hierzulande eine eher begrenzte ist.
Bratislavas Vielfalt
Fünf Wochen haben die Radiomacher als Teilnehmer des von der Landesanstalt für Medien und des Goethe-Instituts veranstalteten Projekts „Antenne Deutsch/Land“ in Nordrhein-Westfalen verbracht, fünf Wochen mit etlichen Senderbesuchen, kurzen Praktika und tiefen Einblicken in die verschachtelte NRW-Medienwelt. Radio NRW, das von Oberhausen aus sendende Mantelprogramm der Lokalradios, haben sie besucht, aber auch das gläserne Studio von WDR 2. „Die haben da gewaschene Luft“, sagt Michael Buschujew vom russischen Radiosender Echo Rostow na Donu. Das war aber dann schon das einzige, was den 22-Jährigen wirklich beeindruckt hat. Ansonsten hat er die Vielfalt seiner Heimat vermisst. „WDR 2 und Radio NRW spielen fast dieselbe Musik. Warum?“, fragt er. Buschujew hat sich während seines Deutschlandaufenthalts dabei erwischt, trotz exzellenter Deutschkenntnisse am liebsten beim britischen Soldatensender BFBS reinzuhören. Nun geht er mit der Idee schwanger, in Russland einen Kindersender zu installieren. Offenbar durchaus kein unmögliches Unterfangen, denn viele der Projektteilnehmer schwärmen von den Entwicklungs-Möglichkeiten in ihrer Heimat. „Nordrhein- Westfalen hat 18 Millionen Einwohner und mit Eins Live nur einen Jugendsender. Bratislava hat eine halbe Million Einwohner und drei Jugendsender“, sagt Michaela Gronova, die in den fünf Wochen ihres Aufenthalts direkt auch schon einen viel beklagten Schuldigen für die Misere ausgemacht hat: „Der WDR sitzt auf den Frequenzen. Das ist hier das Problem.“...
Von Hans Hoff
Düsseldorf – Früher war alles ganz einfach. Da wurde im Osten verzweifelt der Sozialismus versucht, während sich der Westen dem Kapitalismus hingab. Dann kam die Wende, wirbelte alles durcheinander, und heute, kurz vor der Osterweiterung der Europäischen Union, sind die Verhältnisse längst nicht mehr so simpel zu beschreiben. Da kommt es dann schon mal vor, dass zehn junge Journalisten aus Osteuropa und Zentralasien nach Nordrhein-Westfalen eingeladen werden, fünf Wochen lang die Hörfunklandschaft bereisen und hinterher ziemlich einhellig urteilen: „Das ist richtiger kleiner Sozialismus hier.“ Voller Entsetzen, aber auch voller Überzeugung sagen sie das und stellen damit den Installateuren des hiesigen Systems kein besonders gutes Zeugnis aus.
Dass die Radiolandschaft in Nordrhein-Westfalen eine ziemlich komplizierte ist, weiß jeder, der hiesige Politiker schon einmal stolz übers viel beschworene Zwei-Säulen-Modell hat schwadronieren hören: Auf der einen Seite gibt es die Betriebsgemeinschaft, die sich um Werbeeinnahmen kümmert, auf der anderen die Veranstaltergemeinschaft, die das Redaktionelle regelt. Weil es zwischen den beiden immer wieder Abstimmungsprobleme gibt, ist es nirgendwo sonst auf der Welt so schwer, ein Privatradio auf Sendung zu bringen. Zumal die Eigner täglich noch eine Stunde Sendezeit abknapsen müssen, um mitmachwütigen Radioamateuren des Bürgerfunks eine Spielwiese zu bieten.
Das mit der Verpflichtung zum Bürgerfunk will Michaela Gronova einfach nicht in den Kopf. „Ich verstehe diesen Kapitalismus nicht“, sagt die 22- Jährige, die in der Slowakei beim Auslandsradio arbeitet: „Da nimmt man mir einfach Teile meines Privatbesitzes und zwingt mich, Bürgerfunk zu senden. Das ist ja so, als würde man BMW zwingen, Fremde ins Werk zu lassen, damit sie sich dort ein Auto bauen können.“ Auch Olga Kornejewa vom kasachischen Radio Shakar versteht die NRW-Hörfunkwelt nur begrenzt. „Das ist doch sehr seltsam, dass die Privatradios hier keine Konkurrenz haben“, sagt die 28-Jährige, die in ihrer Heimat auch im Fernsehen moderiert. Ihr gefällt auch die Planwirtschaft, die hierzulande übers Erstellen von computergestützten Playlists geregelt wird, nicht so ganz. „Bei uns haben wir einfach entschieden, dass wir Britney Spears nicht spielen, und deshalb ist sie bei uns noch nie gelaufen“, sagt sie, hat aber spätestens während ihres Praktikums beim Warendorfer Stadtradio erkennen müssen, dass die Freiheit von Musik begeisterten Radiomachern hierzulande eine eher begrenzte ist.
Bratislavas Vielfalt
Fünf Wochen haben die Radiomacher als Teilnehmer des von der Landesanstalt für Medien und des Goethe-Instituts veranstalteten Projekts „Antenne Deutsch/Land“ in Nordrhein-Westfalen verbracht, fünf Wochen mit etlichen Senderbesuchen, kurzen Praktika und tiefen Einblicken in die verschachtelte NRW-Medienwelt. Radio NRW, das von Oberhausen aus sendende Mantelprogramm der Lokalradios, haben sie besucht, aber auch das gläserne Studio von WDR 2. „Die haben da gewaschene Luft“, sagt Michael Buschujew vom russischen Radiosender Echo Rostow na Donu. Das war aber dann schon das einzige, was den 22-Jährigen wirklich beeindruckt hat. Ansonsten hat er die Vielfalt seiner Heimat vermisst. „WDR 2 und Radio NRW spielen fast dieselbe Musik. Warum?“, fragt er. Buschujew hat sich während seines Deutschlandaufenthalts dabei erwischt, trotz exzellenter Deutschkenntnisse am liebsten beim britischen Soldatensender BFBS reinzuhören. Nun geht er mit der Idee schwanger, in Russland einen Kindersender zu installieren. Offenbar durchaus kein unmögliches Unterfangen, denn viele der Projektteilnehmer schwärmen von den Entwicklungs-Möglichkeiten in ihrer Heimat. „Nordrhein- Westfalen hat 18 Millionen Einwohner und mit Eins Live nur einen Jugendsender. Bratislava hat eine halbe Million Einwohner und drei Jugendsender“, sagt Michaela Gronova, die in den fünf Wochen ihres Aufenthalts direkt auch schon einen viel beklagten Schuldigen für die Misere ausgemacht hat: „Der WDR sitzt auf den Frequenzen. Das ist hier das Problem.“...