Reform des ARD-Hörfunks: das "Henne-Ei-Problem"

Till_Weende

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Die kommunizierte(n) Programmpolitik(en) der ARD-Anstalten bezüglich der Zukunft des Hörfunks arbeiten sich in der letzten Zeit an den zwei Tatsachen ab, dass einerseits von einer realen Verringerung der für die Programminhalte zur Verfügung stellenden Mittel gerechnet werden müsse, und dass sich andererseits der Audio-Konsum in der Bevölkerung weg von den linearen hin zu den On-Demand-Angeboten entwickeln würde.

Angesichts der geringen Hörerzahlen in den Abendstunden, also ab ca. 18, 19 Uhr, wenn die Autos auf dem Parkplatz sind und linearer Medienkonsum, wenn überhaupt, nur noch in Form von Fernsehen stattfindet, sollen die wenigen übrig gebliebenen Radiohörer auf eine überregionale Minimalversorgung verwiesen werden; es scheint betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar zu sein, dass jede ARD-Welle ein eigenes Abendprogramm bis 24 Uhr gestaltet. Das scheint inzwischen selbst für die „Massenwellen“ zu gelten.

Andererseits wird für die Kulturwellen argumentiert, dass anspruchsvolle Wortproduktionen wie Features und Hörspiele, aber auch längere Musikstücke aus dem Bereich der Klassik von den wenigen interessierten nicht mehr gezielt im linearen Programm eingeschaltet, sondern in der Audiothek oder bei Spotify abgerufen werden, und dass solche Sendungen letztlich linear nur bei der Tagesbegleitung stören; in der Konsequenz sollten sich die linearen Programme der Kulturwellen darin versuchen, „Klassik Radio“ möglichst gut zu kopieren und bei der musikalischen Breite zu übertreffen, indem „anspruchsvoller U-Musik“ jenseits der Charts eine Existenz eingeräumt wird, warum nicht auch mal Phil Collins?

Problematisch an dieser Entwicklung, und das würde ich hier gerne mal zur Diskussion stellen, finde ich das Henne-Ei-Problem, unter Anwendung der Denkgesetze der Logik:

Wenn sich z.B. NDR Kultur anhört wie ein misslungener Versuch der Nachahmung von Klassik Radio: dann hört natürlich niemand dieses Programm, der sich für ernsthaftes Wort interessiert, oder der gerne mal ein ganzes Werk hören will. Weil er es garnicht erwartet. Also ist dieser potentielle Hörer für NDR Kultur verloren. Stattdessen bedient er sich bei der Audiothek oder bei Spotify. Bei der nächsten MA taucht er nicht mehr als NDR Kultur-Hörer auf. Daraus schließt NDR Kultur, dass die Hörer des Programms mit ernsthaftem Wort und ganzen Werken nichts zu tun haben wollen, also schleifen sie die Reste weiter. Und dann wird herausposaunt, die Zeit des Einschalthörfunks ist ja nun offensichtlich vorbei, das zeigt ja die MA, d.h. die Hörer zwingen uns, uns noch mehr an Klassik Radio zu orientieren und die Qualität in die Audiothek abzuschieben.

Wir bieten weniger Qualität. In der Folge hören weniger Hörer Qualität. Wir schließen daraus, dass die Hörer weniger Qualität hören wollen. Darum bieten wir noch weniger Qualität: die Hörer wollen es ja offensichtlich so.

Dieselbe Argumentation gilt im Prinzip auch für die Infowellen und die Popwellen.

viele Grüße, Till
 
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Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an das spannende Round Table-Gespräch im RS Mitte der 1990er Jahre:

siehe auch: https://www.radioforen.de/threads/die-letzten-deutschen-radio-oasen-2-0-2021.45735/

Schon damals wurde (überspitzt) kolportiert, dass man die Radiohörer im Abendprogramm persönlich begrüßen könnte.

Diese Argumentation ist also eine Nebelkerze und alles andere als eine neue Erkenntnis. Daran, dass Radiohörer einen Anspruch auf gutes (!) ÖRR-Programm haben, ändert das nichts.
 
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Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an das spannende Round Table-Gespräch im RS Mitte der 1990er Jahre:

siehe auch: https://www.radioforen.de/threads/die-letzten-deutschen-radio-oasen-2-0-2021.45735/

Schon damals wurde (überspitzt) kolportiert, dass man die Radiohörer im Abendprogramm persönlich begrüßen könnte.

Diese Argumentation ist also eine Nebelkerze und alles andere als eine neue Erkenntnis. Daran, dass Radiohörer einen Anspruch auf gutes (!) ÖRR-Programm haben, ändert das nichts.
Ich möchte mich ja auch nicht an dem Wehklagen beteiligen, dass die die guten alten Zeiten des Hörfunks vorbei sind und dass jetzt der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorsteht. Mir geht es darum, dass sich Hörfunk-Kultur erst selbst abschafft und dann konsterniert feststellt, dass Hörfunk-Kultur scheinbar nicht mehr zeitgemäß ist. Und daraus die Konsequenz zeiht, Hörfunk-Kultur habe keine Zukunft.
 
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es scheint betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar zu sein, dass jede ARD-Welle ein eigenes Abendprogramm bis 24 Uhr gestaltet.
Es ist ja gar nichts einzuwenden gegen ein gemeinsames Abendprogramm, wenn es denn dem ÖR-Auftrag gerecht wird. Wie du selbst schreibst, wenn man sich inhaltlich überflüssig macht, ist man es irgendwann auch tatsächlich. Und das kann ja wohl kaum das Ziel sein, weder bei den Kulturwellen noch bei dem Rest.
 
Es ist ja gar nichts einzuwenden gegen ein gemeinsames Abendprogramm, wenn es denn dem ÖR-Auftrag gerecht wird. Wie du selbst schreibst, wenn man sich inhaltlich überflüssig macht, ist man es irgendwann auch tatsächlich. Und das kann ja wohl kaum das Ziel sein, weder bei den Kulturwellen noch bei dem Rest.
Richtig. Wenn es eine "Opt-Out-Regelung" gibt, d.h. z.B. NDR übernimmt an einem Tag mal nicht das Gemeinschaftsprogramm, weil ein bestimmtes Elbphilharmonie-Konzert für die Region kulturell bedeutsam ist aus welchen Gründen auch immer, und wenn vorallem die Nachrichten nach wie vor von der jeweiligen Anstalt kommen, dann spricht nichts gegen bundesweite Programme. Wichtig ist nur, dass auch bezüglich der Einspieler und Jingles nicht in Sachsen-Anhalt das Gefühl aufkommt, man höre gerade SWR 1-BW; das muß schon neutral laufen.
 
"Ein neuer Ansatz!" - Die Todeszone 18-22 Uhr könnte ÖR-Hörfunk mal reformieren. Dudeln, oder Content bieten?
Man könnte ja auch andersherum argumentieren: wenn Dudeln einerseits angeblich alternativlos ist, um überhaupt noch Hörer der linearen Programme zu erreichen, und wenn andererseits die auf diese Weise erreichten Hörer trotzdem ab 18 Uhr wegbleiben, dann könnte man sich ja darauf einstellen, dass es von den Hörerzahlen her eh egal ist, was man von 18 Uhr bis 5 Uhr sendet, und diese "eh verlorene" Sendezeit dann mit Qualität zu "überbrücken".

Die Archive sind voll mit sehr wertvollem Material aller Gattungen, die Anstalten sind voll mit Wort- und Musikjournalisten, die auf Gelegenheiten warten, ihre Fähigkeiten unabhängig von Sinus-Milieu-
Spinnereien und dem Mantra der Durchhörbarkeit aus der BWL-Beratungsindustrie auszuspielen, d.h. von Profis, die darauf warten, daß sie einfach mal ungestört ihren Beruf ausüben können, statt ständig daran gehindert zu werden.

Ein Vorhandensein von Qualitätsstrecken in der für die Quotenmessung ohnehin verlorenen Zeit würde langsam, aber sicher auch wieder der Akzeptanz des linearen Hörfunks allgemein dienen, denn ein paar Hörer könnte man so doch erreichen, und die geben dann entsprechende Impulse in ihr soziales Umfeld.

Hoffe ich zumindest :)
 
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So so. Das Internet ist für uns alle Neuland, oder wie?
Nein. Digital & Radio könnten friedlich parallel existieren.
Aber wenn man seit Kindheit ganz große Liebe fürs Radio empfindet, nebst vielen Erinnerungen; & machtlos zusehen muss, wie es ohne Not kastriert wird & dann hilft man beim Sterben unfreiwillig als Beitragszahler noch mit, weil dessen Geld dazu noch hauptsächlich ins Digitale gesteckt wird, dann tut das weh wie Sau. 😓
 
Ich möchte mich ja auch nicht an dem Wehklagen beteiligen, dass die die guten alten Zeiten des Hörfunks vorbei sind und dass jetzt der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorsteht. Mir geht es darum, dass sich Hörfunk-Kultur erst selbst abschafft und dann konsterniert feststellt, dass Hörfunk-Kultur scheinbar nicht mehr zeitgemäß ist. Und daraus die Konsequenz zeiht, Hörfunk-Kultur habe keine Zukunft.
Sie wieder zu etablieren wäre weder finanziell noch vom Aufwand her möglich.

Wer einmal aus gutem Grund weg ist vom konventionellen Radio, kommt nie wieder, weil er längst etwas besseres gefunden hat. Und wer noch nie da war, also nur das Bessere kennt, ebenso.
 
These: Für den, der Qualität sucht, haben Spotify & Co. in max. 5 Jahren die Funktion, dass sie dir aus Interviews, Beiträgen (von allen Sendern), aktuellen Nachrichten und den Lieblingspodcasts eine sehr gute Playlist zusammenstellen. Je nach Gusto zu der Zeit, wo du hören willst und mit deinen Lieblingssong unterbrochen (auch während der Podcasts). Für mich alles andere andere als unattraktiv.
 
These: Für den, der Qualität sucht, haben Spotify & Co. in max. 5 Jahren die Funktion, dass sie dir aus Interviews, Beiträgen (von allen Sendern), aktuellen Nachrichten und den Lieblingspodcasts eine sehr gute Playlist zusammenstellen.
Warum sollten Musik-Streamingdienste solche Funktionen entwickeln? Bis heute kann ich bei ihnen nicht mal ein paar Weihnachtsalben in einen Unterordner bei "Meine Alben" sortieren. Eine "Playlist" ist nun mal kein Radio. Meine Gegenthese ist, dass dies genauso Phantasie bleibt, wie die individualisierte Tageszeitung auf E-Papier, die mal vor Jahren als Next Big Thing galt. Und selbst wenn jemand so ein "Selbstbau-Radioprogramm" anbieten sollte, wie kommt es ohne große Sperenzien auf mein Küchenradio?
 
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These: Für den, der Qualität sucht, haben Spotify & Co. in max. 5 Jahren die Funktion, dass sie dir aus Interviews, Beiträgen (von allen Sendern), aktuellen Nachrichten und den Lieblingspodcasts eine sehr gute Playlist zusammenstellen. Je nach Gusto zu der Zeit, wo du hören willst und mit deinen Lieblingssong unterbrochen (auch während der Podcasts). Für mich alles andere andere als unattraktiv.
Gibt's schon! Heißt "Daily Drive", glaube ich.
 
Richtig nutzen tue ich es nicht. Ich schaue aber manchmal rein. Mir hat das Feature zu wenig Einstellungsmöglichkeiten (gar keine). Zum Beispiel habe ich die meisten Podcasts, die heute in meiner Playlist gelandet sind, gar nicht abonniert.

Folgende Podcasts sind heute in meiner Playlist:
  1. Aktuelle Ausgabe der Dlf Nachrichten (27.12.)
  2. Auf den Punkt (SZ): Jahresrückblick 2023 (27.12.)
  3. Zurück zum Thema (detektor.fm): Was tun bei Familienkonflikten an Weihnachten? (22.12.)
  4. Aktuelle Ausgabe der FAZ Frühdenker (27.12.)
  5. Aktuelle Ausgabe von Kurz und heute (Dlf Nova, 27.12.)
  6. Was jetzt? (ZEIT Online): Jahresrückblick 2023 (22.12.)
  7. SWR Umweltnews (25.12.)
Davon habe ich nur die Dlf Nachrichten und Kurz und heute abonniert. Ganz clever aber: Anfangs war auf der 1 in meiner Playlist immer die Tagesschau in 100 Sekunden - seitdem ich die Dlf Nachrichten aber abonniert habe, sind diese auf der 1.

Die Podcasts sind nicht alle tagesaktuell. Ich wünsche mir da mehr Einstellungsmöglichkeiten: Wie aktuell sollen die Podcasts sein? Aus welchen Themenbereichen? Welcher Slot soll mit welchem Podcast bestückt werden? Wie lang sollen die Podcasts sein? Wie soll das Wort-Musik-Verhältnis sein?

Die Musik zwischen den Podcasts ist okay. Nicht alles ist in meinem Lieblingssongs, dazwischen sind auch Empfehlungen.
 

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Am 27.12. sollst du dir anhören, wie Familienkonflikte zu Weihnachten gelöst werden?

Eigentlich müsste der DLF eine solche Radiobau-Funktion anbieten - mit menschlicher Betreuung. Doch was programmieren sie teuer? Einen Podcast-Suchen-Finder!

Danke @thorr für den Einblick, aber so wird sich das als Konzept niemals durchsetzen.
 
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Nämlich für alle, die im Auto unterwegs sind, in den Behördenbüros hocken, alleine zu Hause sind etc.
 
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Ergänze bitte: "Aus meiner Sicht..."
Denn es gibt (das kann man aus Nutzungszahlen ablesen) einfach immer mehr Menschen, die NUR NOCH andere Angebote, Verbreitungswege und Kanäle nutzen.
Ich finde, auch diese haben einen Anspruch auf abwechslungsreichen, guten Audio-Content!
 
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Unbedingt! Es ist das einzige relevante Radio. Füge hinzu die Frage: Brauchen wir darüber hinaus noch andere Angebote, Verbreitungswege, Kanäle? Antwort: Nicht wirklich!
Wir brauchen sowohl das eine, als auch das andere. Hier sollte nichts "neues" was "altes" ablösen. Für mich ist genau das Medienvielfalt, dass ich die Wahl zwischen linearen Ausspielwegen und On-Demand-Angeboten habe. Ich nutze sehr gern Spotify, aber liebe ebensosehr noch das Radio. Das muss sich doch nicht ausschließen. Das eine ist die Ergänzung zum anderen und umgekehrt.
 
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