Ja, es ruft und schimpft hier ein Dinosaurier aus dem Hörfunk-Mittelalter, der nicht genug tun konnte, die Entwicklung aufzuhalten. Der gekuscht hat vor den Entscheidern, als man mit denen durchaus noch reden konnte, aber ihnen zumindest nicht eingänglich genug Argumente entgegen hielt, um eventuell ein Nachdenken zu bewirken.
Lieber Onkel,
aus dem wohlverdienten (und hier so einigen viel zu früh gekommenen) Radio-Ruhestand heraus kannst Du das wenigstens schreiben, ohne dafür berufliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Deshalb die Frage: wieviel hätte denn in Deiner "Macht" gestanden, als Du noch beim Funk in Lohn und Brot warst?
Nach meinen Erfahrungen aus einer - Du weißt es - völlig anderen Branche: eher wenig. Bei uns kam bei "unliebsamen" (= die Entscheidungen und Visionen des Managements auch nur ansatzweise infrage stellenden) Äußerungen oft sofort das "Stop"-Signal, dann hatte man zu schweigen. Tat man das nicht oder befolgte man die Entscheidungen nicht sklavisch, setzten teils subtile, teils sehr offen sichtbare weitere "Disziplinierungsmaßnahmen" ein. Man fand sich dann in demütigenden "Aussprachen" (einer der brillantesten Kollegen hatte die wöchentlich fest im Terminkalender), man wurde teils behandelt wie ein psychisch Kranker (ich sage heute: das müssen die irgendwo auf Managementlehrgängen lernen, das ist so geschickt inszeniert und dient der psychischen Zersetzung der Betroffenen), man bekam Arbeitsgebiete, in denen man absolut kompetent war, weggenommen - oder man wurde auf "Weiterbildungen" geschickt, die von Anfang an als geplante Demütigung erkennbar waren, einem aber fachlich absolut keinen Zugewinn brachten. Das schlimmste aber, was man tun konnte: gegenüber anderen Mitarbeitern ehrlich zu sein und zu sagen, was ist. Damit wurde man sofort zu einem Feind erster Kategorie und geriet in das Räderwerk eines Systems, das für mich inzwischen verkommener wirkt als das Staats- und Gesellschaftssystem der DDR. Und das war bei mir in den Jahren bis 2012. Und es war in Deutschland.
Ein ex-Kollege nannte diese heute so realen Gesellschaftsspielchen "Des Kaisers neue Kleider". Bei mir hat u.a. das (aber nicht nur das) dazu geführt, dass ich seit 2012 bis heute nicht mehr für Geld gearbeitet habe, sondern mich dort engagiere, wo ich einen Sinn hinter allem erkennen kann und einer gute Sache dienen kann. Und ich diene sehr gerne - wenn es eine erkennbar gute Sache ist, die ich halt auch mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Ewig geht das natürlich auch nicht (der liebe Lebensunterhalt... die Ersparnisse schwinden).
Schaue ich auf mein Umfeld, dann sehe ich: fast niemand arbeitet für eine gute Sache, günstigstenfalls arbeiten die Leute in sinnlosen Jobs, die aber wenigstens keinen größeren Schaden anrichten. Ich habe von mehreren guten Bekanntne inzwischen in Kommunikation schriftlich bekommen, dass ein Job für's Geld sei und nicht für den Sinn im Leben. Auf Klassentreffen spricht kaum jemand über seinen Job, sondern alle meist über ihre Kinder. Die Singles außer mir kommen gleich gar nicht zu den Klassentreffen - was sollten sie denn berichten? Stolz auf den Job? Nee, worauf denn? Meine ex-Kollegen aus dem Ingenieurswesen arbeiten nun in der Rüstungsindustrie oder helfen in der Automobilindustrie dabei, noch mehr Maschinen, die das Innere unseres Heimatplaneten und Lebensraumes verbrennen und mit den Abgasen die Atmosphäre dieses Planeten vergiften, zu bauen. Oder sie kümmern sich um noch leistungsfähigere Chips, mit denen wir uns noch mehr vom Leben entfremden können. Die Informatiker arbeiten an Bespitzelungs- und Betrugssoftware, teils auch als Angestellte in Unternehmen, die danach von der Staatsanwaltschaft auseinandergenommen wurden.
Ich kenne inzwischen 3 Biologen, die, da auch sie eine berufliche Tätigkeit mit ihrem Gewissen vereinbaren wollen bzw. müssen (weil sie gar nicht anders können), entweder langzeitarbeitslos sind oder sich von einer schlecht bezahlten Tagelöhnerei zur nächsten durchhangeln. Mehrere Rundfunk-Freunde und -Bekannte von mir sind dauerhaft "raus" oder durch Erkrankung raus bzw. in Bereiche gewechselt weitab des täglichen Wahnsinns an der Formatradio- und Stumpfsinns-Front. Von mir bekannten Ärzten hörte ich so viel täglichen Frust über das medizinische System, dass ichs mir nicht mehr anhören wollte.
Bitte mal hier reinhören:
Eins zu Eins - der Talk auf Bayern 2 mit der Sängerin Dota Kehr (untendunter der "XL"-Download ist qualitativ gut). Ab 11:30... warum ist Dota keine Ärztin geworden (Staatsexamen 1,0)? "Das ist sehr traurig, weil es eigentlich so ein schöner Beruf sein könnte. Aber... der Fisch stinkt vom Kopf. Da geht einfach ganz oben im Gesundheitswesen was richtig schief."
Und so geht in wohl allen Bereichen dieser Gesellschaft derbe was schief. Der Rundfunk ist da nur ein Beispiel, das uns als leidenschaftlichen (?) Rundfunkfreunden massiv auffällt. Überall finde ich das gleiche: Kadavergehorsam auf den Ebenen unterhalb des obersten Managements. Ausschalten jeglichen Gefühls für gut oder schlecht, für sinnvoll oder sinnlos. Innere Kündigung. Abdriften in Hass, Hähme und Zynismus, teils Abdriften in echte Psychosen oder in Alkohol. Mutwilliges Karren-an-die-Wand-Fahren. Verordnetes Karren-an-die-Wand-Fahren. Dazu ein Überwachungs- und Bestrafungs/Belohnungssystem, in dem die unfähigsten Vollpfosten aufsteigen können, so sie nur ihrem Chef auch die geschäftsschädigsten und stumpfsinnigsten Erwartungen erfüllen, während die fähigen Leute systematisch rausgemobbt werden.
Es ist nicht nur der Rundfunk, die ganze Gesellschaft fährt sich mit zunehmender Geschwindigkeit an die Wand. Es wirkt auf mich inzwischen wie Absicht, als ob der kollektive "Selbstmord" die Gesellschaft endlich von sich selbst erlösen solle. Und dazu passt ein gebührenfinanzierter Superhitmix-Soundtrack mit paar knackigen oder schleimigen Claims doch auch ganz gut. Bei soviel kollektiver psychischer Krankheit könnte man das auch guten Gewissens als Darwinismus bezeichnen, wenns bald mit mächtigem Krach in die Luft fliegt.
Dabei werden tagtäglich riesige Ressourcen vernichtet: vor allem die Ressource "Mensch" mit ihrer Kreativität, mit ihrer ursprünglichen (und inzwischen vollkommen verschütt gegangenen) Liebe zum Guten und Schönen. Da ich mir in den vergangenen Jahren den Luxus geleistet habe, immer wieder mal kostenlos für einen guten Zweck zu arbeiten, weiß ich um die Energie, die aus echter Lebensfreude freigesetzt werden kann.
Und ich erlebe diese Energie auch bei einem Radiofreund, der das Glück hat, bei einem der hochwertigsten, leidenschaftlichsten und liebevollsten Radioprogramme in diesem Land arbeiten zu dürfen. Er ist einfach nur glücklich mit seiner Arbeit, auch wenn sie Stress pur ist und 100% Konzentration verlangt. Ein heute wohl leider eher seltener Fall. Viele andere fragen sich dafür täglich "Weiß weiß ich doch nicht, wie ich in diesen Plot geraten bin frag ich mich"...