AW: Zeitdruck beim Radio. Oder: Die Angst vor dem Wort
"Gutes Wort kennt keine Länge", so lautet meine Schaffensdevise, die jegliches Schielen auf die Uhr eigentlich erübrigt. Bei einem sorgfältig gebauten Beitrag gibt es diese Längen normal auch nicht, wenn der Journalist sein Handwerk beherrscht. Viel gefährlicher sind da diese mit der heissen Nadel gestrickten Themenmods oder Expertengespräche, die heute, aus Kostengründen, oft, bei manchen Programmen gar fast ausschließlich an die Stelle des Beitrags treten. Da verquasselt man sich eben mal gerne und dann landet viel heisse Luft beim Hörer. Gute und dichte, aber gleichzeitig lebendige Themenmoderation nach Stichworten z.B. ist eine der Königsdisziplinen, die nur ganz ganz wenige wirklich beherrschen.
Ganz schlimm ist das Aufblasen von Teasing, Backsellern, IDs und Imagemods. Ich hab das mal bei einigen Stunden aufmerksamen Hörens bei "Big FM" bemerkt: Der Wortanteil in der Morgensendung war erschreckend hoch, er lag bei weit über 35%. Allerdings war der wirkliche Wert und Nutzen (auch bezogen auf "Unterhaltung") noch erschreckender niedrig! In solchen Fällen hilft nur Entrümpeln: Runter mit dem ganzen Schnickschnack von der Antenne. Es interessiert, nur als banales Beispiel, samstagnachmittags KEINE SAU, was es montags um 7:15 zu gewinnen gibt, und das um 7:40 jeden Morgen irgendein kleiner Nils bei Leuten anruft, schon gar nicht!
Diese Entrümpelung schafft Platz: Platz für wirklich interessante Wortelemente. Für einen Beitrag (sofern Personal dafür da ist), für einen wirklich guten Gag (dito), für ein Interview, für einen Hörertalk...für Dinge eben, die mal nicht nach Schema F ablaufen, die aber an der Lebenswelt des Hörers dran sind! Gleichzeitig hört sich das Programm pfiffiger an, weniger formatiert, damit auch weniger steif, gleichzeitig weniger hektisch, einfach entspannter. Der gefühlte Anteil "lästiges Wort" wird beim Hörer zurückgehen!
Dieses Gefühl habe ich z.B. wenn ich die Morgensendung bei BBC Radio2 (Wake up to Wogan) vergleiche mit der Morgensendung bei einem deutschen durchformatierten Hitdudler xy (örtlichen Vertreter bitte einsetzen)
In Wogans Show fühle ich mich (obwohl Fremdsprache und damit per se anstrengender) weitaus weniger zugelabert als von irgendwelchen Osterschatzis aus Daimlercity. Dabei liegt der tatsächliche Wortanteil höher!
...obwohl Terry manchmal auch ins Labern gerät...aber man verzeiht es ihm, weil er es durch seine tatsächlich vorhandene (und nicht aufgesetzte) Personality wieder wett macht. Der Mann ist er selbst, er ist freilich Profi, und trotzdem versemmelt er regelmässig Ramps...aber es wirkt nicht störend (höchstens für einen Musikpuristen, dem ich dann aber unterstellen würde, er habe den falschen Kanal zur falschen Zeit eingestellt.)
Natürlich gibt es auch noch eine weitere Ursache, was diese Wortlänge ausgerechnet hierzulande zu einem so großen Diskussionsgegenstand macht.
Die Tatsache, daß bei uns alle Programme "eierlegende Wollmichsau" sein wollen. Alle wollen "ein bissl Nachrichten, morgens Personality (auch wenn die zur Verfügung stehende Humanressource absolut keine hat), ein bissl Comedy, viel Megamegagewinnspielfettepreisepromotion, den schnellsten Verkehrs- und Blitzdienst, und freilich die absolut meiste und abwechslungsreichste Musik."
Guten Morgen Leute:
Sowas kann nur schiefgehen!
Denn natürlich stört den Menschen, der Musik hören will und nichts als Musik das Gelaber, u.U. auch die Nachrichten.
Der Mensch, der informiert werden will, regt sich dagegen auf, daß die Nachrichten zu kurz und zu oberflächlich sind.
Der Mensch, der belustigt werden will, findet alle ernsten Elemente doof.
Und wieder ein anderer, wäre mit Nachrichten, Musik und ein paar Witzen zufrieden, findet aber den aufdringlichen Moderator schrecklich und wird genervt von den Verkehrsmeldungen, die ihn nicht interessieren, weil er daheim bleibt oder U-Bahn fährt.
So eine Aufgabe entspricht der Quadratur des Kreises und trotzdem probieren es unermüdlich alle. Immer wieder werden bemüht eingeführte Randformate doch wieder aufgeweicht, anstatt sie richtig durchzuziehen und ihnen Zeit zur Entwicklung zu geben.
Deshalb bin ich privat dazu übergegangen, Nachrichten zu lesen, wenn ich schnell informiert werden will, Erheiterndes suche ich bei youtube und Konsorten, wenn ich Musik will, wirds ein Internetstream (zum Relaxen z.B. Swiss Jazz völlig ohne Moderation). Wenn ich Radio hören will, weil es eben "Radio" sein soll, dann lande ich in den seltensten Fällen bei einem deutschen Programm...eben aus diesen Gründen "nicht Fleisch und nicht Fisch".