AW: Der Fall "Sarrazin" im Radio
Was haltet ihr von Sarrzins Ausschluss aus der SPD? Einerseits ist die Meinungsfreiheit im Grundgesetz zum Glück verankert, aber er bewegt sich mit seinen Aussagen haarscharf an der Grenze. Ich vermute, die SPD handelt aus Schadensbegrenzung: die guten Umfragewerte sinken schnell wieder, ob das nur am Hype um Sarrazin liegt? Ich glaube nicht daran.
In der bisherigen "öffentlichen" Debatte ging es doch bislang um ein ganz anderes Thema des Buches als in der "parteiöffentlichen" Debatte. Während Sarrazin, auch aus weiten Teilen der SPD, Zustimmung für viele aufgezeigte Missstände der Integration erhält (wesentlicher Kern der öffentlich Debatte), geht es bei dem Parteiausschlussverfahren geht es insbesondere um die Eugenik-Debatte die Sarrazin in seinem Buch anstößt (wesentlicher Kern der parteiöffentlichen Debatte).
Eben jene beiden Debatten - zum einen die Migrationsmissstände, zum anderen die Eugenik - werden, zumindest wenn ich die Debatte bisher richtig verfolgt habe, völlig unterschiedlich kommuniziert. Es hat offenbar auf viele Menschen den Anschein, als sei die oben als öffentlich definierte Debatte rund um die Migrationsmissstände ausschlaggebend für das Parteiausschlussverfahren, während sich die breite Mehrheit gar nicht mit der Eugenik-Debatte auseinandersetzt. Dass Sarrazin - zumindest mit leisem Echo - dies selbst revidiert hat, kann man ihm sicherlich beim Parteiausschlussverfahren zu Gute halten, wie aber auch bei jedem öffentlichen Gerichtsverfahren, kann man dies doch nicht einfach stoppen (zum zugegeben überspitzten Vergleich: wenn ein Täter ein Opfer ermordet hat, hilft es dem Täter zwar, wenn er diese Schuld eingesteht, es schützt ihn aber nicht vor gänzlicher Strafe; ebenso wird es Sarrazin vielleicht helfen, dass er seine Schuld eingestanden hat, es schützt ihn aber nicht vor einer Parteistrafe [da gibt es ja durchaus unterschiedliche Möglichkeiten, von denen das Schiedsgericht Gebrauch machen kann]).
Bei der öffentlichen Diskussion um den Parteiausschluss Sarrazins finden seine Eugenik-Thesen kaum Beachtung, diese sind jedoch offenbar jene Thesen, mit der die SPD nicht in Verbindung gebracht werden will (weil hier schwerwiegende Verstöße gegen die Prinzipien der Partei bestehen). Hier besteht, soweit ich Befürworter und Gegner aus Reihen der SPD in Interviews, Talkshows, usw. beobachtet habe, auch ein eindeutiger Konsens, dass die Eugenik-Thesen zusammengefasst absolut neben der Spur sind, während weite Teile der SPD mit den Missständen der Migration dacor gehen.
Alle Gegner und Befürworter in der generellen Debatte um Sarrazin sind sich offenbar einig darüber, dass Sarrazins Buch gelesen werden sollte. Auch wenn das Buch nun auf Platz 1 der Hardcover-Sachbücher der Spiegel-Topseller ist, wage ich es mal zu anzuzweifeln, dass nun plötzlich jeder das Buch (komplett) gelesen hat und daher auch die Debatte komplett nachvollziehen kann, um sich ggf. auch darin einzubringen. Bekanntestes Beispiel dieses Kults, ein Buch nicht zu lesen, jedoch dennoch sofort seine Meinung abzugeben, war ganz offensichtlich Angela Merkel.