AW: Wie war SDR1?
Wenn wir rückblickend über das Programm SDR1 respektive Südfunk 1 (so der reguläre Name bis, ich meine, 1988) sprechen, sollten wir differenzieren zwischen den unterschiedlichen Phasen, in denen das Programm durchaus unterschiedliche Aufgaben und Zielgruppen hatte.
Meine Erinnerungen reichen zurück bis in die frühen 1980er-Jahre.
Daher bezeichne ich mal die Zeit bis 1985 als "Phase 1".
Damals gab es noch keinen privaten Hörfunk und "Formatradio" war in Deutschland nahezu unbekannt. Einzig SWF3 war ein in weiten Teilen durchhörbares Programm mit einer immer zu erkennenden Musikfarbe. Südfunk 3 war damals noch wesentlich breiter und auch alternativer aufgestellt, zwar hatte man sich ab 1979/80 hauptsächlich als PopRock-Welle für ein jüngeres Publikum definiert, aber so ganz eindeutig war dies noch nicht aufgeteilt zwischen den Programmen. In der Zeit war Südfunk 1 ein typischer Gemischtwarenladen. Die einzelnen Sendungen waren, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. "Gut aufgelegt" am Morgen), nicht länger als eine Stunde und inhaltlich klar abgegrenzt. Es gab reine Wortsendungen, es gab reine Musiksendungen mit einer bestimmten Musikfarbe, von Pop bis Klassik, von Chanson bis Volksmusik, von Schlager bis Jazz. Eine einheitliche Programmfarbe gab es nicht. Ebenso gab es auch noch kein Sounddesign mit Jingles etc. Der typische Nachrichtengong dürfte aus dieser Zeit stammen. Ich kenne ihn auch noch.
Phase 2
1985 gab es dann, noch vor Aufkommen der Privatsender, eine erste Programmreform. Südfunk 3 ist indes zu "Radio 3" geworden und wirkte bereits in Stück formatiert im Tagesprogramm mit großflächigen Sendeschienen. Auch Südfunk 1 wurde etwas, wie man es damals nannte, "entrümpelt", d.h. einzelne kleine Sendestrecken wurden aufgelöst, wegweisend war z.B. am Vormittag die Einführung der Magazinsendung "Radiomarkt", die sich im weitesten Sinne an die Zielgruppe "Hausfrauen" richtete und Vorläufersendungen wie "Mit Musik geht alles besser" und "Für Sie notiert" ablöste. Am Nachmittag wurde "Land und Leute" von einer Themenwortsendung zu einem unterhaltsamen Magazin erweitert, es gab mit "Unterwegs in Baden-Württemberg" eine aktuelle, journalistische Magazinsendung und auch im Abendprogramm sowie am Wochenende gab es Änderungen. Zum ersten Mal erhielt Südfunk 1 im Tagesprogramm eine wiedererkennbare Musikfarbe, mit der man das Programm deutlicher abgrenzte. Dominierten in Radio 3 vornehmlich internationale Pop- und Rockmusik, wurden in Südfunk 1 gut 50% deutschsprachige Musik gespielt (aktuelle und ältere Schlager, Deutsch-Pop sowie auch volkstümliche Musik), der Rest setzte sich aus Instrumentals sowie internationalen Titeln zusammen mit Verzicht auf "härtere" Töne. Ingesamt sollte Südfunk 1 nun vornehmlich die Hörer ab 40 aufwärts ansprechen. Auffallend war der hohe Anteil an Hörerbeteiligung im Programm, hier war der Südfunk einfach ein Wegbereiter. Dies bschränkte sich nicht nur auf Gewinnspiele (und wenn, dann waren diese durchaus anspruchsvoll wie z.B. das Schlaumeierspiel oder die berühmte "Rätseltour" an Feiertagen) und Wunschsendungen (Charaktersendung war natürlich "Sie wünschen, wir spielen"), sondern es gab auch bereits Aktionen wie z.B. die "Pfundskur", die zusammen mit der AOK gestartet wurde, die Tour de Ländle und Hörer konnten sich auch sonst aktiv beteiligen, im berühmten "U.A.w.g." (bei den Stammhörern besser bekannt als "dr Walker") oder mit wissenschaftlichen Fragen bei "Ruf Heidelberg" (später "Ruf Mannheim"). Südfunk 1 bildete auch damals schon eine starke "Community" (auch wenn dieses Wort noch gar nicht erfunden war), die Einbahnstraße war durchbrochen, die Hörerbindung stimmte absolut. Zudem wurden erstmals "Jingles" im Programm eingeführt, allerdings sehr behutsam.
Um 1988 (den genauen Zeitpunkt weiss ich nicht mehr) folgte die Umbenennung in SDR1, mit "Das Herz des Südens" gab es zum ersten Mal einen Claim oder Slogan, das Sounddesign und Kleinigkeiten am Programm wurden optimiert.
Phase 3
1991 startete der SDR bekanntlich zusammen mit dem SWF eine engere Kooperation, in deren Rahmen auch das Programm "S4 Baden-Württemberg" gestartet, das als Rahmen für die in den 12 Vorjahren eingeführten Regionalprogramme dienen sollte und gleichzeitig eine neue Musikfarbe (DOM= deutsch orientiert, melodiös) in den Äther brachte. Die meisten hinzugekommenen Privatprogramme konkurrierten ja mit den dritten Programme, so dass es in der Zielgruppe 50+ eine große brachliegende Zielgruppe gab, die durch die ersten Programme nur zeitweise angesprochen wurden.
SDR1 machte an diesem Tag, dem 1.1.1991 keinen Formatbruch, sondern wurde behutsam weiterentwickelt oder umgestellt vom "Hausfrauen- und Omasender" zur "Informationsleitwelle". Die Musiksendung "Gut aufgelegt" am Morgen wurde durch ein aktuelles Magazin "SDR1 Aktuell" ersetzt, die Sportsendungen kamen vom dritten ins erste Programm, später wurde noch eine eigene Spätabendsendung "Music Mix" eingeführt, die volkstümliche Komponente verschwand nach und nach im Programm, die Musikfarbe wurde immer mehr zwischen SDR3 und S4 positioniert. Zum Schluss hin liefen nur noch wenige Schlager, es dominierten Oldies und Soft-Rock/Pop, aber durchaus noch breit aufgestellt, auch mit italienischen und französischen Titeln, mal ein Chanson, mal etwas Folk oder Country, auch deutsche Popmusik hatte ihren festen Bestandteil im Programm und die Musikauswahl war schon noch etwas tageszeitorientiert. Während die älteren Hörer zu einem Großteil zu S4 abgewandert waren (und nur noch stundenweise SDR1 einschalteten), hatte sich das Programm eine neue Zielgruppe geschaffen.
Mit der Fusion 1998 gab es dann aber tatsächlich einen recht großen Bruch. Die letzten Unterhaltungssendungen vom alten Stil wanderten in SWR4, die Musikfarbe wurde vereinheitlicht, der Informationsanteil verringert, reine Wortsendungen gestrichen und es fanden sich fast keine Moderatoren des alten SDR1 in SWR1 wieder. SWR1 klingt heute ansatzweise wie ein SDR3-Nachfolger (quasi für die SDR3-Hörer von damals), SWR4 hat inzwischen den Wortanteil erhöht und wird musikalisch auch allmählich jünger, aber SDR1 wurde quasi ersatzlos gestrichen. Hervorragende Sendeformate wie "Land und Leute", "Heute im Gespräch", "Ruf Mannheim", "Samstags-Magazin", "Spätvorstellung" sind aus dem Äther verschwunden. Ich frage mich bis heute, wo der SWR im Rundfunkbereich seine Informationskompetenz ausspielt. Vermutlich am ehesten in SWR2, dem Lumpensammler für alles, was aus den Formatwellen rausflog.