Aufgewachsen in den 80ern in Nordostbayern, konnte ich als Kind mit den Beats der Rockmusik nichts anfangen und war immer froh, wenn am Morgen bei meinen Eltern Bayern 3 wieder ausgeschaltet wurde nachdem die Verkehrsdurchsage vorbei war. Meine Oma hörte dann den ganzen Tag über Bayern 1, und ich nahm so, ohne mir etwas dabei zu denken, die Schlagermusik von den 50ern bis 80ern unvoreingenommen wahr. Rückblickend ist das ganz interessant, denn gerade in den 80ern nahm die Qualität der Schlagermusik rapide ab, da zusehends nur noch Synthesizer eingesetzt wurden. Auf diese Zeit führe ich meine heutige Vorliebe für von weltweiter Folklore beeinflusste Musik zurück, denn deutsche Schlagertitel dieser Ära hatten oft musikalische Einflüsse von fernen (Urlaubs-) Ländern (z.B. Caprifischer, 2 kleine Italiener, Von den Blauen Bergen kommen wir, Jambalaya, Mendocino, usw.)
Die charakteristischen Stimmen der Moderatoren der BR1-Nachmittagsschiene der 80er, wie Elmar Gunsch und Heinz Schenk kenne ich auch daher.
Am Abend lief dann Bayern 4 Klassik. Mir war damals die Klassik am liebsten, nur schrille Violinen mochte ich nicht.
Mein Vater zeichnete einmal eine Silvester-Sendung, entweder von BR1 oder BR3 auf Cassette auf, um sie sich immer wieder im Auto anzuhören. Das war die Ursache dafür, dass ich später zum Mixtaper wurde, als ich meine eigene Plattensammlung begonnen hatte. Aber dazu später.
Als die Privatsender kamen, habe ich morgens am Frühstückstisch immer gerne gewechselt zwischen den Sendern BR3 und Antenne BY, weil ich keinen guten Song verpassen wollte, denn nervige Songs kamen zu viele.
Nach meinem Wechsel auf die weiterführende Schule war ich jeden Morgen im Bus der Sender-Wahl des Busfahrers ausgesetzt: meist auch BR3 oder Antenne BY. Damals in der Anfangszeit des Senders hatte Antenne BY tatsächlich die bessere Musikauswahl als BR3 und brachte frischen Wind rein in die Musikfarbe des Pop. Das ist lange vorbei, wäre aber mal wieder notwendig.
Da mir dank der langen Busfahrten die Wartezeiten zwischen guten Songs bei den Radiosendern zu lang wurden, fing ich an, mir Musik zu kaufen und schenken zu lassen, nachdem ich auf einen CD-Spieler gespart hatte.
Relativ schnell fing ich an, meine eigenen Mixtapes zu machen. Die Zufallswiedergabe der iPods ist mir zuwider. Die Musik muß einen Spannungsbogen haben und die Musikfarbe muß wie ein Gemälde sein oder doch zumindest schillern, darf nicht konstant oder eintönig sein (wie es beim Formatradio heute üblich ist). Meine Mixtapes liefen im Auto, im Walkman und manchmal auch zuhause, aber dort lege ich lieber live als "DJ" auf. Auch heute noch, aber inzwischen greife ich nur noch gelegentlich auf eine ältere Playlist zurück.
Die Grenzöffnung und das Entstehen neuer Pop-Wellen direkt danach in Sachsen und Tschechien war in der Region nochmal eine sehr interessante Zeit, denn die Suche nach guter Musik im Radio wurde durch die zusätzlichen Sender interessanter: ich musste zwar schneller umschalten (oder drehen, je nach Gerät), aber die Zeit zwischen 2 guten Songs wurde dadurch kürzer. Bis Mitte der 90er entdeckte ich auch immer wieder tolle Interpreten durchs Radio, von denen ich mir dann daraufhin eine CD anschaffte. Im Rekorder war zu diesem Zweck immer eine Cassette drin, damit ich gute Songs und deren Ansage jederzeit mitschneiden konnte. Meine bevorzugten sächsischen Stationen waren Radio PRS und MDR Live, die leider oft nur sehr schlecht zu empfangen waren. Auch der sich in den letzten Zügen befindliche RIAS Berlin war eine Bereicherung der Sendervielfalt, die nicht wiederkommen sollte. Auf tschechischer Seite ist die Musikfarbe von Radio Dragon unerreicht, die "westliche" und lokale Popmusik spielten. Leider gibts den Sender inzwischen nicht mehr.
Schlager mochte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr, deshalb gefiel mir auch Radio Euroherz bzw. Extra Radio nur selten, aber ab und zu kam doch auch dort mal ein guter Popsong meist älteren Datums. Aus heutiger Perspektive betrachtet, handelt es sich dabei wohl um einen der ersten "Dudelfunksender" mit nur Oldies im Musikprogramm.
Einen sehr erfrischenden Zuwachs erfuhr das Frequenzband in den späten 90ern mit Hot-FM, deren Morning-Show "Stehauf" aus Hardrock- und Hip-Hop-Titeln bestand, und so wirklich effektiv als Radiowecker funktionierte. Tagsüber war deren Musikauswahl an Platten orientiert, wie sie in Musikmagazinen wie Musik-Express oder Rolling Stone besprochen wurden. Kurz gesagt: sie spielten fast nur Titel, die Bayern 3 und Antenne BY musikalisch zu riskant waren. Auch bei diesem die Pause zwischen 2 guten Songs gefühlt gleich lang wie bei den anderen Sendern, aber hier waren die guten Songs meist von mir unbekannten Interpreten. Neue Singles kamen hier früher als bei den anderen Sendern, und es wurden auch viele Songs gespielt, zu denen es kein Video gibt. Das mochte ich sehr, und deshalb ist der Sender bis heute unerreicht. Ich zog dann fort aus der Gegend, und als ich mal wieder hin kam, fand ich auf der ehemaligen Frequenz von Hot-FM stattdessen den Sender Radio Galaxy. Was die Musikfarbe angeht, ist dieser Wechsel vergleichbar mit dem von Viva Zwei zu Viva Plus, für alle, die diese Musikfernsehsender kennen.
Seit Ende der 90er höre ich fast gar kein Radio mehr, mit Ausnahme einer Phase in der Mitte der 00er Jahre, als ich eine Weile gerne Sprechradio hörte, bis mir die Themen zu oberflächlich wurden und mich das nur noch langweilte.
In den wenigen Momenten, wo ich zuletzt der Musik vom Formatradio ausgesetzt war, hielt ich es meist nicht länger als 15 Minuten durch, denn es waren keine neuen Titel dabei. Zum Glück kann man mit der Verkehrsfunk-Taste die Sender stumm stellen, wenn die Mitfahrer sich nicht auf einen mitgebrachten Musikmix einigen können. Wenn aber niemand einen eigenen Musikmix dabei hat, laufen bloss leider für die ganze Dauer der Fahrt mehrmals die gleichen Songs aus der Hot-Rotation. Das ist dann schon doof, von den stromlinienförmigen Persönlichkeiten der coolen Popwellen-ModeratorInnen mal ganz zu schweigen.
Soviel zum Thema von einem Ex-Radiohörer, der über die Jahre durch viel Üben mit kritischem Publikum im kleinen Kreis (Familienkreis) gelernt hat, unaufdringliche Musikmixe zu machen, bei denen krasse stilistische Brüche nur gelegentlich mal als Stilmittel zur Auflockerung vorkommen. Ich muss allerdings inzwischen feststellen, dass meine Generation, die iPod-Generation, mit Musik ziemlich übersättigt ist, bin aber froh, daß mir Leute sagen "du, ich hab zwar auf meinem Rechner mehr Musik drauf als ich in meinem Leben überhaupt hören können werde, aber deine Mixe höre ich mir trotzdem gern an", und daraus ziehe ich für euch Radiomacher den Schluss, dass die Zukunft beim Sprechradio liegt, denn Musik haben die Leute alle selbst zur Genüge.