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Nichts wird dem Zufall überlassen
Formatradio: Mit Unterstützung von Computern werden Sendungen ausgetüftelt.
Von Bettina Brinker
Hamburg - Bertolt Brecht wäre von der heutigen Radiolandschaft sicherlich enttäuscht. "Wenn Radio wüsste, wie man den Hörer sowohl sprechen als auch hören lassen könnte, dann wäre Radio der erstmögliche Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens. So sollte es sich dann verabschieden, nur Zulieferbetrieb zu sein", formulierte er 1932. Doch genau das haben die Radios bis heute nicht geschafft. Sie verstehen sich - ob privat oder öffentlich-rechtlich - bis auf wenige Ausnahmen als Begleitmedien.
Ob beim Frühstücken, Joggen, Bügeln oder Autofahren - bloß nicht zu viele Worte verlieren, das könnte zu einem Ausschaltimpuls führen. Und das wollen die Radiomacher ja nicht. Eine möglichst lange Verweildauer vieler Hörer ist das erklärte Ziel vor allem der werbefinanzierten Radiostationen. Begleitprogramm statt Einschaltprogramm - so die Devise.
Das Formatradio macht es möglich. Nach amerikanischem Vorbild werden dazu alle Programmbestandteile von der Musikfarbe über die Wort-Musik-Mischung, die Informationsanteile und die Art der Präsentation durchgestylt. Formate folgen strengen Regeln und überlassen nichts dem Zufall. Der Hörer kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt einsteigen, ohne das Gefühl zu bekommen, etwas verpasst zu haben. "Formatradio bedeutet Verlässlichkeit", sagt Marzel Becker, Programmdirektor bei Radio Hamburg. Unverzichtbare Helfer hierbei sind Computerprogramme, die die Abfolge von Musiktiteln, Jingles, Beiträgen und Moderation regeln. Besonders im Rahmen einer einheitlichen Musikfarbe, die bis zu 80 Prozent über den Erfolg eines Radioprogramms entscheidet, sind solche Computer als Assistenten der Musikchefs unentbehrlich geworden. Absolut verlässlich stellen sie die Musikmischung zusammen. Die einzelnen Musiktitel werden dafür kategorisiert, beispielsweise nach Alter: aktuelle Hits, Recurrents (semiaktuelle Hits), Oldies. Jedem Titel jeder Gruppe werden dann Untergruppen zugeordnet, die sich nach dem Erfolg des Titels, der Musikrichtung, dem Geschlecht des Interpreten, der Stimmung, der Sprache, Tempo und Klangfülle richten. In "Musikuhren" wird anschließend bestimmt, welcher Titel in welcher Stunde an jedem Tag der Woche gespielt werden kann. Dabei wird auch die Platzierung von Wortbeiträgen eingeplant, auf die kein "lahmer" Titel folgen sollte.
Doch diese Programmierung hat auch ihre Nachteile. So beinhaltet die aktuelle Rotation nicht die gesamte Auswahl an möglichen Titeln. Ihre Anzahl - bestgehütetes Geheimnis der Sender - würde sich für einen Außenstehenden erschreckend niedrig anhören, meint Marzel Becker. Die Konsequenz: Die vor allem massenattraktiven Radiosender versinken in einer dünnflüssigen Einheits-Musiksoße. Gegen eine solche Verarmung wendet sich seit geraumer Zeit die "Kampagne Rotationsverbot", deren Macher Sebastian Nohn und Gerd Hoeschen an diesem Wochenende bei den Sächsischen Jugendmedientagen dabei sind.
Ganz ausgegoren wirkt ihre Initiative allerdings nicht. "Das Problem liegt nicht in der Rotation, sondern entsteht dann, wenn der Gesamtrahmen der Titel sehr eng wird", erklärt Will Teichert, Vorstandsvorsitzender der Akademie für Publizistik. Natürlich sei der Vorwurf, im Programm selber gäbe es kein reichhaltiges Angebot mehr, berechtigt, so Teichert. Aber auf der anderen Seite belegen Studien, dass die Hörer genau diese Art der Musikmischung wollen. "Solange wir unterschiedliche Formatradios haben, ist das Problem nicht so groß", konstatiert Teichert. Und Michael Reichmann von der Hamburgischen Anstalt für neue Medien bestätigt: "In Hamburg haben wir ein breites Spektrum privater Anbieter von Radio Hamburg über alster radio, Energy 97,1, Oldie 95 bis hin zu Klassik Radio." Problematisch sei da eher die fortschreitende Annäherung des öffentlich-rechtlichen Hörfunks an das private Angebot.
erschienen am 24. Okt 2003 in Kultur / Medien
Hmaburger Abendblatt
Formatradio: Mit Unterstützung von Computern werden Sendungen ausgetüftelt.
Von Bettina Brinker
Hamburg - Bertolt Brecht wäre von der heutigen Radiolandschaft sicherlich enttäuscht. "Wenn Radio wüsste, wie man den Hörer sowohl sprechen als auch hören lassen könnte, dann wäre Radio der erstmögliche Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens. So sollte es sich dann verabschieden, nur Zulieferbetrieb zu sein", formulierte er 1932. Doch genau das haben die Radios bis heute nicht geschafft. Sie verstehen sich - ob privat oder öffentlich-rechtlich - bis auf wenige Ausnahmen als Begleitmedien.
Ob beim Frühstücken, Joggen, Bügeln oder Autofahren - bloß nicht zu viele Worte verlieren, das könnte zu einem Ausschaltimpuls führen. Und das wollen die Radiomacher ja nicht. Eine möglichst lange Verweildauer vieler Hörer ist das erklärte Ziel vor allem der werbefinanzierten Radiostationen. Begleitprogramm statt Einschaltprogramm - so die Devise.
Das Formatradio macht es möglich. Nach amerikanischem Vorbild werden dazu alle Programmbestandteile von der Musikfarbe über die Wort-Musik-Mischung, die Informationsanteile und die Art der Präsentation durchgestylt. Formate folgen strengen Regeln und überlassen nichts dem Zufall. Der Hörer kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt einsteigen, ohne das Gefühl zu bekommen, etwas verpasst zu haben. "Formatradio bedeutet Verlässlichkeit", sagt Marzel Becker, Programmdirektor bei Radio Hamburg. Unverzichtbare Helfer hierbei sind Computerprogramme, die die Abfolge von Musiktiteln, Jingles, Beiträgen und Moderation regeln. Besonders im Rahmen einer einheitlichen Musikfarbe, die bis zu 80 Prozent über den Erfolg eines Radioprogramms entscheidet, sind solche Computer als Assistenten der Musikchefs unentbehrlich geworden. Absolut verlässlich stellen sie die Musikmischung zusammen. Die einzelnen Musiktitel werden dafür kategorisiert, beispielsweise nach Alter: aktuelle Hits, Recurrents (semiaktuelle Hits), Oldies. Jedem Titel jeder Gruppe werden dann Untergruppen zugeordnet, die sich nach dem Erfolg des Titels, der Musikrichtung, dem Geschlecht des Interpreten, der Stimmung, der Sprache, Tempo und Klangfülle richten. In "Musikuhren" wird anschließend bestimmt, welcher Titel in welcher Stunde an jedem Tag der Woche gespielt werden kann. Dabei wird auch die Platzierung von Wortbeiträgen eingeplant, auf die kein "lahmer" Titel folgen sollte.
Doch diese Programmierung hat auch ihre Nachteile. So beinhaltet die aktuelle Rotation nicht die gesamte Auswahl an möglichen Titeln. Ihre Anzahl - bestgehütetes Geheimnis der Sender - würde sich für einen Außenstehenden erschreckend niedrig anhören, meint Marzel Becker. Die Konsequenz: Die vor allem massenattraktiven Radiosender versinken in einer dünnflüssigen Einheits-Musiksoße. Gegen eine solche Verarmung wendet sich seit geraumer Zeit die "Kampagne Rotationsverbot", deren Macher Sebastian Nohn und Gerd Hoeschen an diesem Wochenende bei den Sächsischen Jugendmedientagen dabei sind.
Ganz ausgegoren wirkt ihre Initiative allerdings nicht. "Das Problem liegt nicht in der Rotation, sondern entsteht dann, wenn der Gesamtrahmen der Titel sehr eng wird", erklärt Will Teichert, Vorstandsvorsitzender der Akademie für Publizistik. Natürlich sei der Vorwurf, im Programm selber gäbe es kein reichhaltiges Angebot mehr, berechtigt, so Teichert. Aber auf der anderen Seite belegen Studien, dass die Hörer genau diese Art der Musikmischung wollen. "Solange wir unterschiedliche Formatradios haben, ist das Problem nicht so groß", konstatiert Teichert. Und Michael Reichmann von der Hamburgischen Anstalt für neue Medien bestätigt: "In Hamburg haben wir ein breites Spektrum privater Anbieter von Radio Hamburg über alster radio, Energy 97,1, Oldie 95 bis hin zu Klassik Radio." Problematisch sei da eher die fortschreitende Annäherung des öffentlich-rechtlichen Hörfunks an das private Angebot.
erschienen am 24. Okt 2003 in Kultur / Medien
Hmaburger Abendblatt