"Evergreen"? "Gassenhauer"? Abgesehen davon, dass ihr euch mit solchen Kategorien als - nichts für ungut - betagt geoutet habt und sich der ESC vielleicht stärker verjüngt hat, als ihr es wahrhaben wollt:
In Zeiten zunehmender Fragmentierung der Musikszenen sind solche Begriffe vollkommen bedeutungslos geworden. Ihr fordert doch sonst immer ein, dass die Radiosender gefälligst aufhören sollen, tagein tagaus immer dasselbe zu spielen.
Der einzelne User legt sich stattdessen "für jede Lebenslage" eine Playlist an und spielt sie gezielt ab - eben nicht tagein tagaus. Diese Playlisten unterliegen viel seltener der Kontrolle der Musikindustrie (weswegen sie sich mit Marken wie Filtr oder Digster als Kuratierer von gesponserten Playlisten Relevanz erkämpfen wollen). Die lächerliche Aussage "Ich hör eigentlich alles, so querbeet" wird jetzt erst recht inhaltsleer.
Trotzdem kann sich ein ESC-Song relativen Erfolg erarbeiten: Loreens "Euphoria" erkennt man sofort, ebenso - sogar generationenübergreifend - "Fairytale" von Alexander Rybak. Sogar
diesen eher unbedeutenden ESC-Song nudelt mein Edeka nach vier Jahren immer wieder im Sommer ab.
Die Entwicklungen im Musikmarkt legen aber nahe, dass es weniger Songs geben wird, zu denen in vierzig, fünfzig Jahren irgendwelche Senioren im MDR-Fernsehen schunkeln werden, während der Künstler Playback singt. Oder Senioren mit Distinktionsbewusstsein, die immer SWR 1 oder hr1 hören, um sich "die Originale" zu geben. Die Geschmäcker werden immer mannigfaltiger und lassen sich nur schwer zu einem Lebensgefühl zusammenfassen.