Ehrlich gesagt hatte ich dabei weniger an die Breitensender gedacht, sondern die mit der spitzen Zielgruppe:
- Klassik (in NRW WDR 3)
Ich bin gerade etwas irritiert. Ist das Dein Ernst? Ist das etwa das Aussprechen von etwas, das schon beschlossen ist? Weil wegen:
WDR 3 ist nicht nur "Klassik"!
WDR 3 ist auch
Literatur, ist
Jazz (ich erinnere mich an einen großartigsten Mitschnitt eines Auftritts von
Günter "Baby" Sommer 2013 im WDR - und ja, ich habe davon einen Mitschnitt aufgehoben
Anhang anzeigen WDR 3 Günter Baby Sommer 2013.mp3 ),
ist
Hörspiel, ist "
elektronische Musik" (mit
sehr langer und weltbekannter Geschichte beim WDR), ist
musikalische Weltreise, ist
spezielle Popkultur, ist
besondere Hörkunst, ist ...
Das ist also alles andere als eine spitze Zielgruppe" - das ist letztlich das komplette Gegenteil davon. Das ist fast die komplette Breite dessen, was Hörfunk, zumindest öffentlich-rechtlichen Hörfunk - ausmachen sollte und was der nicht komplett degenerierte Teil einer Zivilgesellschaft so an geistig-kulturellen Interessen hat (natürlich nicht jeder für sich allein die volle Breite, aber alle zusammen ergeben diese Breite). Könnte man heute auch "Diversität" nennen und hätte damit einen beinahe "Mode-Begriff" mal sehr gut besetzt.
Mir wird bange, wenn eine trotz aller Streichungen immer noch recht breit aufgestellte Kulturwelle, die vieles von dem, was auf den anderen Wellen wegen Formatkorsett nicht mehr laufen kann, auch aufnehmen muss, auf "Klassik" reduziert wird. Es mögen Gedanken sein von Menschen, die möglicherweise gar nicht wissen, was alles an Inhalten im Hörfunk einst möglich war und was es vielleicht auch heute noch hier und da im Kulturfunk gibt. Aber aus den Gedanken sind längst Worte geworden und aus Worten werden bekanntlich häufig Taten.
Wo sollen all diese wertvollen Inhalte hin, wenn selbst das oft letzte nicht komplett durchformatierte und verödete Programm der ARD-Anstalten auch noch durchformatiert wird?
Ein reiner "Klassikdudler", vor allem, wenn er aus dem "Automat" kommt, ist kein vollwertiges Kulturprogramm! Als Zusatzkanal sicher nett, aber wenn er nicht kuratiert und durch Live-Moderation begleitet wird, sogar nichtmal besonders wertvoll.
Und ein vollwertiges Kulturprogramm bekommt man als größere Anstalt alleine gefüllt. Oder will jemand behaupten, das kulturelle Leben in NRW oder Bayern oder Norddeutschland oder Mitteldeutschland wäre so karg? Wenn dafür kein Geld da ist (es geht um Hörfunk, nicht um UHD-Live-TV großer Sport-"Events"), läuft gehörig was schief. Wenn ich da Kooperationen sehe, dann sehe ich sie bei aufwendigen (Live-)Sendungen zu speziellen, nicht zwingend regionalen Themen, wie das bei "taktlos" von NMZ und BR der Fall war. Oder beim Austausch zwischen den Feature-Redaktionen. Oder beim Hörspielaustausch - das gibt es aber alles auch heute schon, genau wie Kooperationen bei der Hörspielproduktion.
- Kinder (wie Maus oder KiKa)
"Kinder" geht auch ganz anders. Beispiele:
Bei Do Re Mikro spielt die Musik: laut, leise, schräg, schön. Wie Mozart schon wusste: Ohne Musik wär‘ alles nichts.
www.br.de
radioMikro ist da, wo was los ist! Wir schauen hinter die Kulissen, erklären, was ihr in der Schule nicht lernt, und stellen euch Bücher, CDs und Spiele vor. Manchmal sind Leute im Studio, die etwas Besonderes wissen oder können. Unsere Moderatoren fragen ihnen Löcher in den Bauch, egal, ob es...
www.br.de
Einmal BR Klassik, einmal Bayern 2. Und beides wäre bei einem Verlust dieser Angebote nicht zu kompensieren durch die "Maus". Und schon gleich gar nicht durch Radio Teddy oder TOGGO.
- Hintergrund/Politik/Kultur (wie WDR 5), aber dann mit regionalen Fenstern
Das würde einigen Anstalten die "Programmflotte" durchaus bereichern (ich denke da z.B. an den MDR), wäre aber z.B. im Falle von Bayern, wo mit Bayern 2 ein als Gesamtkonzept einzigartig wertvolles Programm existiert, ein extremer Verlust, wenn dieses Bayern 2 dafür hingerichtet würde.
Gerade im Zusammenhang mit dieser Aussage von Dir
Bei der Tagesbegleitwelle (Pop, News, Interviews) ist die regionale Ansprache sehr wichtig, finde ich. Die würde ich eher in jedem Bundesland als identitätsstiftend belassen!
sehe ich (Er)klärungsbedarf.
Die Tagesbegleitprogramme haben doch heute kaum noch Inhalt! Ich habe vor etwas über einem Jahr im Zuge der technischen Umstellung des DVB-Hörfunks in die entsprechenden Programme mehrere Anstalten reingehört, um Vergleiche zwischen bisherigem und künftigem System anzustellen. Ich war entsetzt, dass das "Nichts", das ich schon vor 10 Jahren dort vorfand, noch nach unten "steigerbar" war. Das einzige, was da "regional" war, waren die Verkehrsmeldungen, das Wetter und vielleicht paar Whatsapp-Grüße von Leuten aus der Region, die das jeweilige Programm hören. Alles andere war austauschbar - die "Musik" ebenso wie die Durchhalteparolen ("Claim") - austauschbar nicht nur zwischen den ARD-Anstalten, sondern auch austauschbar zum Privatfunk.
Hast Du selbst mal ARD-Popwellen gehört in den letzten Jahren? Also die Programme, wo teils drei um die Wette gackernde Nichtssager einen am Morgen terrorisieren, ohne relevanten Inhalt in der Sendung zu haben? Oder die Programme, die eine Stunde ödesten, künsterisch fragwürdigsten Pop-Dudel der aktuellen Machart (da passt "Jaulen und Quieken", aber Herr Gniffke hat diese Begriffe ja für was ganz anderes genutzt) am Stück dudeln, nur unterbrochen von Verkehr, Kurznachrichten und dem "Backselling" der sogenannten "Morgenshow", bei dem irgendjemand wie irre kreischt, weil er 100 EUR gewonnen hat?
Das ist der öffentlich-rechtliche "Popfunk" im Jahre 2022. Die Zeiten, als man sich große UKW-Antennen aufs Dach setzte, um die Heavy-Metal-Sendung oder die Indie-Sendung oder die spezielle Hörkunst-Sendung oder die wöchentliche Satiresendung auf der "Popwelle" einer weiter entfernten ARD-Anstalt hören zu können, sind Jahrzehnte vorbei. Heute wäre das via DVB oder Webradio total einfach - aber es gibt diese Inhalte dort gar nicht mehr - und oft haben sie es nicht oder nur für kurze Zeit auf die Kulturwelle geschafft und verschwanden dann komplett.
Dazu würde aus meiner Sicht der Begriff "spitze Zielgruppe" doch viel mehr passen: die aktuellen Massen-Hits in enger Rotation, Wetter, Verkehr, Kurznachrichten, Werbung, Claims - fertig. Schmaler oder spitzer hinsichtlich der Erwartungshaltung an Hörfunk geht doch gar nicht.
Wieso sollte ausgerechnet dieses heutige Nichts als "identitätsstiftend" gelten? Was ist das für ein Land, in dem sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ausgestattet mit dem Privileg einer Finanzierung aus der Gesamtgesellschaft, darauf einigt, genau das zu befördern und dafür die Kulturprogramme zu fusionieren, ihrer noch verbliebenen Vielfalt zu berauben und zu einem Klassikkanal umzubauen?
Es gibt Regionen, in denen ist der Blick vor die Haustür nahezu toxisch und zieht jede Lust auf nur einen Tag weitere Existenz auf diesem Planeten aus einem raus. Es gibt Regionen, in denen ist man völlig alleine, fremd und regelrecht "Fremdkörper", wenn man auch nur ein bißchen ökologisch, humanistisch, weltoffen, progressiv ist und sich der naturgesetzlichen Realität verpflichtet fühlt. Ich kenne solche Zustände und nutzte jahrelang den Hörfunk - zum Schluss meist in Form von Bayern 2 - um mich nicht völlig alleine und "falsch" in der Welt zu fühlen. Bitte eine solche Funktion eines öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramms nicht unterschätzen!
Ich sehe freilich auch eine Notwendigkeit, den Bereich des weniger "anstrengenden" Funks, also den Unterhaltungsfunk, regional verankert zu lassen. Er muss aber dringend wiederbelebt werden. Wenn ich ihn nicht vom Privatfunk unterscheiden kann - wo ist dann seine Existenzberechtigung?
Und noch etwas, vielleicht in Westdeutschland aufgrund nicht erlebter "Wendezeiten" nicht so bekannt: am spannendsten war der Hörfunk in meiner ostdeutschen Heimatregion, als im Herbst 1989 die alten Rundfunk-Machthaber schlicht abgesetzt oder übergangen werden konnten und die Leute in den Redaktionszimmern und am Mikrofon, die einfach nur gutes Programm machen wollten, endlich gutes Programm machen konnten und also gutes Programm gemacht haben. Diese Phase dauerte bis Ende 1991 an - dann kamen die neuen Strukturen. Beim MDR war dann gleich damit Schluss, beim ORB konnte man sich hier und da noch etwas länger austoben - im Falle des legendären Kulturprogramms "Radio Brandenburg" bis Sommer 1997. Authentisches, sehr breit aufgestelltes, relevantes Programm. Von "unten" gewollt und gemacht, nicht "von oben" verordnet.
Es wäre vielleicht Zeit, mal die Programmleute mit Ideen kommen zu lassen, statt sich auf Verwaltungs- und Intendanz-Ebene mit Radiotheorie zu mühen, die für mich als Außenstehenden (bin Physiker, nicht Journalist) oft auch wirklich nur wie Verwaltung wirkt.