Wir würden hier in diesem Forum ganz anders diskutieren, wenn es einen freien Markt in Sachen Rundfunk gäbe.
Dann würden die privaten Hörfunkprogramme die öffentlich-rechtlichen in Sachen Qualität überflügeln.
Um mal ein in dieser Hinsicht besonders herausragendes Beispiel anzuführen: Die Stadt Istanbul (ca. 13 Mio. Einwohner).
Neben den vier öffentlich-rechtlichen Programmen der TRT gibt es laut FMList dort 102 Privatsender (der Frequenzabstand beträgt dabei i.d.R. 200 kHz): Bei so einer Auswahl ist definitiv für jeden etwas dabei.
Dort hast Du ohne Zweifel eine hohe Quantität. Ob damit eine hohe Qualität verbunden ist, steht auf nem anderen Blatt. Letztlich haben wir doch auch tausende Internetradios - und viele davon sind von Qualität meilenweit entfernt.
Außerdem bezweifle ich, daß auf einem "freien Markt" automatisch die Privaten die Öffis "in Sachen Qualität" überflügeln würden. Es kommt immer drauf an, was man unter "Qualität" versteht. Journalismus kostet ein Schweinegeld, die Produktion aufwendiger Kulturprogramme (so man das mit "Qualität" gleichsetzt) ebenso. Wenn aber nur wenige Menschen Interesse daran haben, wie soll ein Privatfunksystem, das sich aus Werbung ernährt (die wiederum von kulturell Interessierten i.d.R. verabscheut wird), dann wirtschaftlich erfolgreich am Markt (nix anderes ist es) bestehen?
Kultur ist in der nullten Ableitung immer Draufzahlgeschäft - erst wenn man weiterdenkt, werden "Gewinne" sichtbar. Das sind aber gesellschaftliche Gewinne, die sich mitunter nicht in Euro und Cent berechnen lassen, oder wenn, dann auf üblen, langen Umwegen, auf denen der Ursprung bzw. die Erinnerung an den Ursprung gerne abhandenkommt. Wer wird schon präzise sagen können, warum in einem bestimmten Land(strich) mehr ehrenamtliches Engagement besteht, geringere Schul- und Ausbildungsabbrecherzahlen, weniger Vandalismus im öffentlichen Raum, mehr Zusammenhalt der Generationen, mehr Bewußtsein für Natur und Schöpfung usw? Das sind für mich alles Merkmale von "mehr Alltagskultur". Die könnten durchaus Folge auch (nicht nur) von mehr Kultur im Hörfunk sein - allerdings nur in einem ganzheitlichen gesellschaftlichen Prozeß. Einem Prozeß, bei dem man später nicht mehr sagen kann, was nun Ursache und was Wirkung war. Und: einem Prozeß, den nicht jeder so unbedingt mögen wird, hängen doch die Gewinne vieler Bereiche der Wirtschaft untrennbar mit einer möglichst geringen Alltagskultur zusammen.
Ich behaupte mal was anderes: wäre Deutschland ein Volk von (Hoch)kulturjunkies, dann gäbe es den Privatfunk in der Art, wie wir ihn kennen, überhaupt nicht. Niemand wäre auf die Idee gekommen, mit werbefinanziertem Funk Geld verdienen zu können. Es gäbe gewiß privat betriebene Programme, aber dann auf Basis von freiwilligen Mitgliedschaften (und dennoch unverschlüsseltem Programm), auf Basis von Stiftungen oder Spenden, die überraschend freiwillig und üppig sprießen könnten. Dann gäbe es sehr wohl die Chance, daß Privatfunk qualitativ auch mal über öffentlich-rechtlichem Funk angesiedelt sein könnte. Das klingt alles sehr idealistisch - darf es auch, weil die Grundannahme einer Kulturgesellschaft bereits illusionär ist.
Programme nach Qualität zu bewerten finde ich eine lustige Idee. Wer entscheidet denn, was Qualität ist und was nicht. Sogar in diesem Forum kann man sich nicht entscheiden. Besteht Qualitätsradio aus möglichst unbekannter schräger Musik und endlosen Beiträgen über Randthemen? Das ganze ist doch höchst subjektiv, wie soll das gemessen werden?
Das ist in der Tat ein Problem. Dem kann ich mich auch nicht entziehen. Selbst so grundlegend wirkende Begriffe wie "authentisch" sind sehr dehnbar. Sich der Sache mal "philosophisch" zu nähern, wäre ganz spannend, bring tuns bekanntlich aber auch nix. Es muß irgendwas mit "wahr, gut und shcön" zu tun haben. Und mit "hat es ein Herz?" Und mit "kann es helfen, diese Gesellschaft in eine lebenswertere, menschlichere, ehrlichere Zukunft zu bringen?"
Dem steht der zutiefst menschliche Wunsch nach Verdrängung des nicht-wahrhaben-gewollten gegenüber. Und das leisten Ratespiele ums geheimnisvolle Geräusch oder das Geträllere von Lady Gaga 10 mal am Tag nebst Verweis auf deren vermeintlich erstrebenswertes Leben leider deutlich besser. "Falsche Freunde" könnte man das nennen, denn diese Welt ist weder gesund noch irgendwie erstrebenswert, weil sie den einzelnen nicht zu sich, sondern von sich wegbringt.
Es kommt für mich nicht unbedingt zufällig, daß der Hörfunk in der unmittelbaren (Nach)wendezeit der DDR seinen qualitativen Höhepunkt hatte. Die Menschen im Osten waren es leid, weiterhin mit Parolen bei Laune gehalten zu werden, sie suchten etwas realeres, gesünderes. Sie fanden es nicht, stattdessen fanden sie die Enttäuschung der ihnen (auch noch weitgehend freiwillig) übergestülpten West-Ordnung, die genauso abartig ist, nur mit anderem Geschenkpapier verpackt. Und dann zogen sie sich, als ab 1992 klar war, daß die Übung des aufrechten Ganges wieder beendet war, halt großteils in die nächste Nische zurück. Die, die nun naheliegend war, da im Angebot. Aus dem "Leseland DDR" (inzwischen längst als "Realiätsflucht" erkannt) wurde dann u.a. das Schunkel- und Banal-Land Osten. Auch im Radio. Zuletzt in Brandenburg, dort hatte man ja bis Sommer 1997 noch ein Programm für den aufrechten Gang.
Das Radio in Deutschland ist wie es ist ist sicher nicht immer schön, aber es entspricht dem Geschmack der meisten Menschen, die hier leben.
...was völlig korrekt ist, aber leider auch keine Antwort auf die anstehenden Fragen der Gesellschaft bietet. Vermutlich wären aber selbst Antworten, die in Richtung einer "gesünderen" Zukunft gehen, kaum hilfreich. Der Mainstream geht weltweit (!) immer tiefer in Abartigkeiten und Neurosen. Wer nicht mitspielt, ist gnadenlos raus. Im Kleinen vielleicht noch gar nicht so sehr, als Nation aber auf jeden Fall. Das dicke Ende kommt erst noch, keine Frage.
Und es gibt für alle zahlreiche Angebote - auch ausserhalb des Mainstreams. Im Netz und auch im Radio.
Wer gezielt sucht und auch massiv Technik einsetzt, um z.B. während Abwesenheit mitzuschneiden, der bekommt über alle Anstalten gesehen tatsächlich noch Angebot. Das ist nur sehr aufwendig und oft entgeht einem auch was. Ich fands allemal angemessener, Appetit auf Neues durch direktes Angebot zu machen.
Das jetzt alle ö-r-Anstalten nur noch Programme abseits des Massengeschmacks machen sollen erschliesst sich mir nicht. Die Masse wäre kaum überzeugbar, dafür dann noch Gebühren zu zahlen.
Da liegt leider der Kern. Die Gesellschaft ist nicht bereit, mehr Wahrheit und mehr Kultur zuzulassen. Gerade weil das so ist, müßte aber mehr Kultur in den Alltag einziehen, um auf dem "sanften Bildungsweg" (der oft über "Anfüttern" geht) doch noch eine kulturelle Öffnung zu erreichen. Wie fängt man damit am besten an?
(Wie es ein Opernhaus in Dresden macht, das weiß ich inzwischen. Und: die tun das sehr sympathisch. Es funktioniert sogar, zumindest an Einzelfällen nachgewiesen...)
Andererseits: warum sollte die Masse bereits jetzt schon nicht nur unwillig zahlen für Angebote, die es ihrer Meinung nach bei den Privaten genauso und "umsonst" gibt? Richtig: die Masse will bereits jetzt schon nicht zahlen. Sie tut es nur, weil sie GEZwungen wird und das System so gut gestrickt ist, daß sie kaum rauskommt und auch nicht klar sieht, wie sie sich des Systems als Ganzen entledigen könnte. Noch nicht.
Vielleicht bin ich auch zu anspruchsvoll, wenn ich erwarte, daß ein Moderator auch mal einen schlechten Song verreißt
Todsünde Nummer eins.
Wirklich, Countie? Ich denke, es kommt sehr aufs Umfeld an. Beispiel: das kleine Radio Top40 hatte dereinst eine extrem breite Musikauswahl von Indie-Rock (auch uralten Klassikern) bis Aggro Berlin, von Oldschool-Hiphop bis harten Elektrobrettern, von Singer/Songwriter bis Reggae. Und da gab es eine Moderatorin namens
Anne, die durch ihre Direktheit bekannt war. Man wußte, daß sie Bushido und das damals aus dieser Richtung angesagte Zeug nicht mochte. Sie hat da kein Blatt vor den Mund genommen und das offen gesagt - die Hörer liebten sie dafür. Gut, nur die Hörer, die sie wegen genau so etwas mochten. Man wußte auch, daß Alex, der Musikredakteur, eher auf manche Sachen stand, die Anne nicht abkonnte - und man spielte gekonnt mit dieser Meinungsverschiedenheit, die ja auch real war. Warum sollte man es nicht tun? Top40 hatte genau wegen sowas seinen Charme. Der ging verloren, als im Sommer 2008 die Maulkörbe und das Formatkorsett kamen. Heute redet keiner mehr davon. Tendenz in der aktuellen MA: runter. Wieder.
(Ok, es war kein Verreißen eines zwingend "schlechten Songs", es war aber direkt die eigene Meinung. Wie selten ist sowas heute?)